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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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Rotweinflasche und ein umgekipptes Glas. Nasenspray, eine Tube Sekundenkleber, heruntergebrannte Kerzen, ein ausgefüllter Lottoschein. Sie rutschte näher heran. »Die Drei, die Vier und die Fünf hintereinander.«
    »Wer weiß«, sagte Stocker.
    »Lotto spiele ich nie mit System«, sagte sie. »Wenn ich meine Zahlen auswendig weiß und vergesse zu spielen, kommen sie.«
    Unter dem Tisch ein zusammengefalteter Zettel und eine Armbanduhr. Als Ina Henkel die Hand ausstreckte, berührte sie einen Knöchel der Toten. Sie riß die Hand zurück, zog den Handschuh stramm, dann holte sie den Zettel und die Armbanduhr unter dem Tisch hervor. »Maurice Lacroix.«
    »Na.«
    »Schönes Zifferblatt. Nicht billig.« Die Uhr zeigte die korrekte Zeit. Im Fernsehen blieb sie manchmal stehen, um den ermittelnden Beamten die genaue Todeszeit zu zeigen. Ina Henkel warf die Uhr in eine Klarsichthülle. Im Fernsehen sah sie sich Liebesfilme an.
    Angefangene Sätze auf dem Zettel, ein Briefentwurf, Lieber Gabriel – durchgestrichen, ein paar krakelige Striche, als hätte sie probiert, ob noch genug Tinte im Füller war. Schönschrift, die Buchstaben leicht nach rechts geneigt, Hallo Gabriel, hiermit möchte ich – nichts mehr, ein Tintenklecks.
    »Was ist das?« Stocker stand neben ihr, hielt einen Block in der Hand.
    »Wie sag ich’s meinem Mann oder so.« Sie zeigte ihm den Zettel. »Soll ich den -?«
    »Ja«, sagte er. »Packen Sie ihn ein.«
    Sie schob den Zettel in eine andere Klarsichthülle. Das Telefon stand auf dem Boden neben dem Sofa, daneben ein Anrufbeantworter. Niemand hatte angerufen. Sie nahm die Kassette heraus.
    »Hier. Das Mädel hat Tagebuch geführt.« Stocker fuchtelte mit dem Block. »Hat hinter einem Stapel Wohnzeitschriften gelegen. Gucken Sie mal, die hat fast hundert Schöner Wohnen da liegen, haust aber in Ikea-Möbeln.« Er räusperte sich. » Gabriel ist – «
    »Das ist doch Geschmackssache.«
    »Ja. Also, wollen Sie hören? Gabriel ist – da ist er ja wieder.« Er räusperte sich erneut. » Gabriel ist mein Engel. Alles an ihm erinnert mich an einen Engel – der Name, die langen Locken, das Lächeln in seinen Augen. «Er unterbrach sich, um »Allmächtiger« zu murmeln. »Ja also – Abends spielen wir mit dem Abraham, kochen und zünden Kerzen an. Wir kochen gern Menüs nach, die wir in Edelrestaurants gegessen haben –« Er sah auf. »Und so weiter.«
    »Gabriel«, sagte Ina Henkel. »Weinflasche und ein Glas.« Sie ging in die Küche, wo zwei leere Teller standen, deutete mit dem Daumen zurück ins Wohnzimmer. »Vielleicht hat er sein Glas mitgenommen. Die hat wenigstens eine gescheite Spülmaschine hier stehen. Ist aber leer.«
    »Haben Sie doch auch, denke ich.«
    »Ja, aber die ist hin, die verliert Wasser, das kommt unten aus der Spüle raus, da ist dann immer der ganze Boden –« Sie blies die Backen auf, als der Gerichtsmediziner die Tote auf die Seite legte. Etwa fünf Liter Blut trug jeder Mensch mit sich herum.
    »Laß mich nicht lügen.« Fuchs nahm eine Lupe, pfiff. »Das könnten, ich weiß es nicht, es könnten hier Würgemale sein. Muß ich sehen.«
    »Was sagt uns das?« Stocker stieg über ihn hinweg. »Sie hatten doch ein Psychoseminar, Frau Henkel, und da kommt einer und stranguliert und schnippelt. Und haut ihr noch auf die Nase. Mit allem, was er tut, gibt der Täter einen Hinweis, haben die Ihnen das nicht erzählt?«
    »Psychogeschwätz.« Sie sah auf den Teppich.
    »Dann hat sie noch ein bißchen Kleber an den Fingerkuppen.« Fuchs nahm eine Pinzette. »Etwas gebastelt, nehme ich an. Sekundenkleber.«
    »Dieses Ding vielleicht.« Stocker deutete auf eine Bodenvase mit gezacktem Rand.
    »Sekundenkleber lag auf dem Tisch.« Ina Henkel zog ihren Mantel noch weiter auseinander. »Das ist tückisch, das Zeug. Da hat letztens eine Frau irgendwas mit geklebt und dann ihrem Mann ans beste Teil gegriffen, weiß der Geier, war jedenfalls auch noch ein Rest vom Kleber an den Fingerspitzen. Ende vom Lied: Sie kriegte die Finger nicht mehr von dem Kerl los, und die mußten so auf den Notarzt warten.«
    »Na –« sagte Fuchs.
    »Das stand in der Bildzeitung.«
    Ein Kissen rutschte vom Sofa. Ina Henkel beugte sich über die Tote, als sie es aufhob. Sie hustete, zwei, drei Tage mußte Julia Bischof tot sein, die ersten drei Tage der Ewigkeit. Sie richtete sich auf. »Ich muß noch zu den Nachbarn, dann müssen wir mit dieser Frau da unten reden, ist die inzwischen im Präsidium? Wo
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