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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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Tröstendes sagen, wie man es machte, wenn jemand tot war und ein Lebender stand herum. Irgendein Satz nur, zwei, drei freundliche Worte. Aber das machte sie nicht. Sie murmelte etwas, das wie »Später« klang, während der Mann, Stocker, auf seine Füße starrte. Alle setzten sich in Bewegung, als sie dann auf das Haus zuging, die Streifenbeamten und auch die anderen in Zivil, als hätten sie nur auf dieses Signal gewartet. Anscheinend war sie hier von Bedeutung.

4
    Es war ein unscheinbarer Neubau in einer stillen Straße. Ringsum guckten die Leute aus den Fenstern. Als die Kripokollegen kamen, nahm der Beamte Hieber seine Mütze ab, strich sich das Haar glatt und setzte die Mütze wieder auf.
    »Geht es?« fragte er, und sie sagte leise: »Ja.«. Die junge Frau, die die Leiche entdeckt hatte, war ruhig und sehr still, das war oft nach einem großen Schrecken so. Hieber sah die Leute ja und redete mit ihnen, noch bevor die Kripo kam. Sie war klein und dünn und blaß. Vielleicht war sie gar nicht so klein, aber sie wirkte so. Sie war furchtbar zusammengezuckt, als die Henkel die Autotür wieder so zugeschlagen hatte, daß man es bis zur Innenstadt hören mußte, eine Grille von ihr. Hieber kannte alle Grillen der Kollegen; Tod das halbe Leben lang, da wurden sie vielleicht ein wenig überspannt.
    »Tag«, sagte die Henkel. Sie sah an dem Haus hoch und zog die Nase kraus. »Wo?«
    »Ganz oben«, sagte Hieber. »Unschön.« Es klang wie Ich habe schon alles gesehen. »Passen Sie auf Ihre Schuhe auf. Die ist da oben quasi ausgeblutet.« Er hob die Schultern. »Bin mit einem jungen Kollegen gekommen.« Der ist grün, wird nicht schlafen.
    Stocker schob sich an ihm vorbei. »Sie hat sich verfahren.«
    »Das stimmt nicht«, sagte die Henkel. »Fahren Sie doch erst mal selbst.«
    Hieber schnalzte mit der Zunge. Vor vier Tagen hatte er vor den Leichen zweier Selbstmörder gestanden, Brüder, da war die Henkel auch dabeigewesen. Brüder, sie waren vom Dachgarten eines Hochhauses gesprungen, und Hieber hatte es nicht fassen können, hatte den Kollegen auf der Wache ein ums andere Mal erzählt, welchen Körperumfang sie hatten, beide. Quasi fett. Noch nicht einmal Zwillinge, acht Jahre auseinander, aber der eine so korpulent wie der andere, unfaßbar, und dann – Dann mußt du dir vorstellen, wie sie da unten lagen, die Fallhöhe bedenken, beide quasi platt. Völlig verrenkt, ganz aus dem Leim. Hieber bekam das Bild nicht aus dem Kopf. Die Henkel war vor ihnen hin und her gerannt und hatte ständig Suizid gebrüllt und daß sie nicht zuständig wäre, war grün um die Nase, oben, auf dem Dachgarten, lag ein Abschiedsbrief.
    Hieber schnalzte mit der Zunge und sagte: »Frau Henkel, die da oben ist wenigstens schlank.«
    »Schön«, murmelte sie, dann betrat sie das Haus.

5
    Die Tote im Dachgeschoß schien zu grüßen. Wie ein Mensch, der es sich gemütlich macht, saß sie auf dem Sofa, ihr rechter Arm lag erhöht auf einem Kissen. Stocker rief: »Was ist das denn?«
    Im Zimmer roch es nach Curry, das kam von dem angegammelten Salat in der Küche, die durch einen Tresen vom Wohnzimmer getrennt war. Das Fenster stand einen Spalt offen. Ina Henkel streifte Latexhandschuhe über. Einen Moment lang blieb sie mitten im Zimmer stehen, sah zur Decke, zum Fenster, auf die Wände, sah überall hin, nur nicht zum Sofa.
    Stocker sagte: »Der Luftaustausch ist viel besser, wenn es kühl ist.«
    »Was interessiert mich der Luftaustausch.« Sie zog ein Tempo aus der Manteltasche und wedelte damit herum. Langsam ging sie zum Sofa, kniete sich hin und zog den Saum des Mantels vom Boden weg. Überall Blut. Die Tote trug Leggings und eine Strickjacke. Badeschuhe an den Füßen, Wollsocken, beide an den Zehen gestopft.
    »Doch, das ist so«, sagte Stocker. »An kühlen Tagen ist viel schneller gelüftet, das geht dann ruckzuck.« Er seufzte. »Sieht pervers aus, wie die sitzt.«
    Schemenhaft ein Gesicht unter einer Kruste Blut; Ina Henkel zerrieb das Tempo zwischen den Fingern. Eine Frau Ende Zwanzig, soweit man das sehen konnte, nicht älter als sie selbst. Löcher, wo die Handgelenke waren, ein kleines, gebogenes Messer wie ein Beweisstück auf dem Sofa neben ihr. Sie trug einen breiten Silberring am Mittelfinger, Talmi wie die silbernen Ohrringe. Ina Henkel murmelte: »Hausklamotten.«
    »Wie?« Stocker stand neben ihr, die Hände auf die Knie gestützt.
    »In den Klamotten hat sie wohl jemanden empfangen – was weiß ich –, den sie gut
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