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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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–«
    »Ja? Weiter. Sagen Sie mir, wie es aussieht.«
    »Es ist Blut auf der Wand.«
    »Das Bild, Ina, eine Landschaft und ein Schiff, was noch?«
    »So ein Blumenstrauß. Ein Still … –« Sie wußte nie, wie man das aussprach.
    »Welche Blumen zeigt es? Können Sie das erkennen?«
    »Nein. Nein, ich weiß nicht. Es kommt niemand.«
    »Doch. Sie kommen. Sie sind unterwegs.«
    »Sie bewegt sich nicht.«
    »Gibt es Bücher? Sehen Sie Bücher?«
    »Ja«, sagte sie und blieb so, auf dem Boden, den Rücken gegen das Sofa gelehnt, während die Stimme immer tiefer in ihren Kopf krabbelte wie ein Lied, das man ein dutzendmal im Walkman hörte, »Steht da ein Sofa?« Als ob diese Frau keinen Körper besaß und nur Stimme war, eine Stimme, die sie beschützte, und als sie das Poltern hörte, sagte sie: »Jetzt ist er da«, denn vielleicht hatte die Stimme das gemacht, daß er kam.
    Stocker hatte noch nie eine Tür aufgedrückt, soweit sie wußte, und eigentlich wollte sie ihn fragen, wie er das gemacht hatte. Dann sah sie etwas in seiner Hand, das wie ein Schlüssel aussah, illegal möglicherweise, weil sie selbst doch die Schlüssel hatte, die richtigen Schlüssel der Jung. Egal, Gedanken, die kamen und gingen, doch als er ihr das Handy aus der Hand riß, nur um etwas hineinzubrüllen, das wie »Gut, danke« klang, fand sie das so unverschämt der Stimme gegenüber, daß ihr die Tränen kamen. Sie war so nett gewesen.
    Er hockte sich vor sie hin und legte ihr die Hände auf die Schultern. »Einen Moment noch. Sie sind unterwegs.« Er sah merkwürdig aus, überhaupt nicht wie Stocker, unrasiert, mit einer alten Lederjacke über einem T-Shirt. Und er trug eine Brille; sie legte einen Finger auf das rötliche Gestell, und er murmelte: »Kontaktlinsen. Sonst.«
    »Wie spät ist es?«
    »Sieben«, sagte er. »Nicht bewegen.« Er stand auf, und sie hörte ihn fragen: »Was macht die hier? Was ist denn passiert?« Dann war er ruhig, und sie guckte auf ihre Beine, auf das eine, das gerade war und das andere, das ganz abgewinkelt lag, nicht wie ein Bein.
    »Was ist passiert?« fragte er wieder. »Was habt ihr gemacht?«
    »Ich weiß nicht.« Sie guckte weiter auf ihre Beine. »Auf die sind wir einfach nicht gekommen.« Sie wußte nicht, ob sie laut sprach oder leise, doch er verstand sie ja, sagte: »Sie wollen doch wohl nicht behaupten –«
    »Sie war hier. War überall. Wir wußten es nicht.«
    »Sind Sie verrückt?« Seine Stimme wurde lauter. »Das schafft die doch gar nicht, die ist doch – sind Sie denn verrückt? «
    »Es waren auch ihre Klamotten. Hier. Aber ich weiß nicht, warum.«
    »Reden Sie nicht. Und nicht bewegen.«
    Er sagte noch mehr, doch sie verstand ihn nicht, denn seine Stimme wurde wieder leiser. Ein Rauschen in den Ohren, bis sie das Getrampel hörte und das Zimmer plötzlich voller Leute war, Leute, die herumrannten und Zeug auf dem Boden abstellten, grün Uniformierte und rot Uniformierte, und dann Pagelsdorf.
    Er sprach nicht. Er zog sein Jackett aus und legte es ihr über die Beine, dann massierte er ihre Hände. Er blieb so, als ein Sanitäter sie irgendwo anschloß, sagte nichts, hielt ihre Hände. Ein anderer Sanitäter riß das Jackett wieder von ihren Beinen, warf es auf den Boden. Er ließ es liegen, hielt ihre Hände, und sie spürte die Wärme.
    »Wir brauchen den Arm«, sagte der Sanitäter, und Pagelsdorf murmelte: »Natürlich, natürlich«, dann ließ er sie los, doch er blieb. Sie spürte, wie ein Ärmel hochgezogen und in die Armbeuge gestochen wurde, doch sie sah nicht hin. Auf dem Boden viele Flusen. Ewig nicht gesaugt. Sie müßte jetzt ihre Waffe abgeben, hätte sie sie dabei, müßte sie Pagelsdorf aushändigen, vielleicht den Ausweis noch, die Marke, alles, alles soweit.
    »Sie hat – ehm – Stellen im Nacken.« Stocker, der die ganze Zeit zwischen all den Leuten hin und her gerannt war, kniete sich vor sie hin. »Und im Rücken –« Er atmete schwer. »Von hinten«, sagte er, »wie wollen Sie da raus kommen, von hinten –«
    Da hörte sie Pagelsdorf brüllen: »Halten Sie das Maul!«
    Stocker nahm diese rote Brille ab und preßte die Handballen auf die Augen.
    Als Kind hatte sie sich einmal mit einem anderen Gör geprügelt, wüst geprügelt, denn die Eltern hatten sich bei ihren Eltern beschwert, und da hatte ihr Vater gesagt: »Das paßt doch gar nicht zu dir, du bist doch so friedlich, du steckst doch eher zurück.« Sie erinnerte sich daran, weil sie nicht gewußt hatte,
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