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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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sagte die Benz. »Okay?« Sie war nicht richtig zu erkennen. Sie hatte Augen und eine Nase und einen Mund. Sie hatte eine traurige Stimme, nicht gemein seltsamerweise, nur traurig, und sie hatte einen dicken, aufgeblasenen Schlägerarm.
    »Ja«, murmelte sie und noch einmal: »Ja.« Das wollte sie vielleicht hören. Dann hörte sie vielleicht auf. Und sie erinnerte sich, wie sie mit Stocker über diese Seifert gesprochen hatte, Bischofs Kollegin, und wie sich in ihrem Hirn etwas geformt hatte, was sie selber kaum verstand, als die Seifert sagte, sie hätte Bischof in ihrem Jammer nicht austehen können. Wie sie versucht hatte, etwas zu konstruieren, ein Bild zu entwerfen von Leuten, die sich vielleicht selbst in anderen haßten, sich selbst in anderen töteten, und sie hatte wohl recht gehabt, ja, recht gehabt, das half jetzt aber nicht.
    Die Uhr, sie tickte. Mal leiser, mal lauter. Kein Geräusch von der Straße. Sie starrten einander an, und wenn sie es schaffte, nicht wegzugucken, ging ihr die Luft aus. Eine Weile nur das, ihr eigenes Luftholen in der Stille und das Ticken der Uhr. Sie wußte nicht, wie man starb. Sie hatte es sich immer wieder vorgestellt, doch es war etwas, wovon man keine Ahnung hatte, auch wenn man ständig daran dachte. Sie schloß die Augen und sah das Haus, in dem ihre Mutter wohnte, und wollte dahin.
     
    Sie konnte die Zeit anhalten, sie hatte Macht über die Zeit und über die Stille. Früher konnte Biggi nicht immer mit der Stille umgehen, jetzt schon. Sie konnte warten, und die andere nahm es hin. Wenn sie eine Frage stellte, antwortete sie, und wenn sie sich bewegte, folgte sie ihr mit den Augen wie ein Hündchen. Ab und zu schnappte sie nach Luft, verstohlen, doch man konnte es hören, fuhr wie im Schüttelfrost zusammen oder wie in den Klauen einer großen Furcht.
    »Die Jung hat Sie vor Czerwinski mit einem anderen Mann gesehen.«
    Das schien sie nicht zu verstehen. Nach einer halben Ewigkeit murmelte sie: »Kann sein.«
    »Sie sind wohl nie ohne Mann?«
    »Ab und zu schon.«
    »Aber das können Sie nicht aushalten. Da kommt was hoch, wenn Sie allein sind, was Sie nicht aushalten können.«
    Stille. Das Ticken, das die Stille war. Die Henkel schien sie nicht mehr richtig wahrzunehmen, so ein Blick, den Leute bekamen, wenn sie träumten. Das gab ihr zu knabbern. Darüber grübelte sie jetzt nach.
    »Sind Sie glücklich?«
    Sie bewegte die Lippen. Ihre Lider zitterten, als wollte sie die Augen schließen und kämpfte dagegen an.
    »Was sagen Sie?«
    Sie schüttelte den Kopf, wollte ein Stöhnen unterdrücken, aber ganz gelang ihr das nicht. Sie konnte nichts aushalten, keinen kleinen Schmerz und schon gar keinen großen. Es gab Leute, die mußten mehr aushalten, jeden Tag.
    »Ich hab sie was gefragt.«
    »Ja«, sagte sie.
    »Also?«
    Sie guckte auf den Stock und auf Biggis Füße und dann auf Biggis Hände. »Glücklich ist man doch immer nur – momentweise, oder? Das ist kein Dauerzustand, auch wenn« – sie holte Luft und ihr Atem zitterte, so hörte es sich an – »auch wenn man das möchte.«
    »Welche Momente?«
    »Am Strand vielleicht.« Ein Laut wie ein Schluchzen, sie sah zu ihr auf, mit Tränen in den Augen. »Ich meine, wenn alles stimmt. Das Wetter und die Menschen. Und die Musik und – ich weiß nicht. Wenn man verliebt ist, oder? Nichts planen muß. Einfach – da ist, dann – ist man glücklich, ja.« Jetzt schlug sie den Hinterkopf gegen die Wand, und das mußte doch nicht sein. Als könnte sie nicht genug kriegen vom Schmerz.
    »Also sind Sie nur glücklich, wenn jemand dabei ist?«
    »Vielleicht.«
    »Waren Sie es schon oft?«
    »Ja, ist schon – passiert, ja.«
    Biggi rieb sich die Augen. »Wie holen Sie sich das, was Sie wollen?«
    Sie mußte ewig warten, bis sie die Antwort hörte und die war dann auch nicht erschöpfend. »Ich weiß nicht«, sagte die Henkel. »Es ergibt sich so vieles, oder?«
    »Was denn?«
    Doch sie guckte sie nur an wie so ein kleines, schwaches Tier, das sich vor dem Angreifer auf den Rücken warf.
    »Haben Sie Angst?«
    »Ja. Schon.«
    »Vor was?«
    »Daß Leute sterben. Daß ich meinen Job nicht schaffe.«
    »Welche Leute?«
    »Leute, die ich lieb hab.« Wieder drückte sie den Kopf gegen die Wand, als hätte sie Angst, jeden Halt zu verlieren.
    »Wen?«
    »Meine Mutter, meine Freundin. Mein Freund.« Sie hörte sich an, als hätte sie den Mund voll.
    »Czerwinski ist nicht mehr Ihr Freund.«
    »Und du?« fragte sie plötzlich. »Was
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