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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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ist mit dir? Du fragst immer nur.«
    »Hören Sie auf. Sie sind nicht mehr im Präsidium.«
    »Die Klamotten – das Zeug, das hier lag – warum?«
    »Warum?« Biggi schüttelte den Kopf. »Bloß Fetzen, bloß Stoff–« Sie wurde müde. Schwer fühlten die Beine sich an und die Arme. »Reden Sie nicht, wenn Sie nicht gefragt werden.«
    »Willst du bis Weihnachten hier rumstehen?«
    »Ich kann ganz gut stehen. Auch wenn Sie mich für einen Krüppel halten.«
    »Du hältst dich selbst für einen Krüppel, oder?« Heiser ihre Stimme, atemlos irgendwie. Als Kriminaloberkommissarin konnte sie lauter reden, jetzt nuschelte sie nur.
    »Was meinen Sie?« Biggi umklammerte die Krücke.
    »Du bedauerst dich selber, ja? Hör zu, ich kenne eine im Rollstuhl, die fährt in Urlaub, die macht alles, die denkt gar nicht dran, daß sie so ^n bedauernswertes Hascherl war. Weil – weil sie’s nicht sein will, verstehst du? Die läßt sich nicht mal schieben. Kommt immer drauf an, wie man sich durchsetzt im Leben.«
    »Ja.«
    »Was hast du schon groß?« Sie hustete. »Du läufst rum, brauchst keine Hilfe. Warum genierst du dich so für das Ding da?«
    »Sie sollten aufhören zu quasseln. Wer sind Sie denn, was –«
    »Immer die bösen anderen, ja? Die bösen Leute, die böse Gesellschaft, das ist so scheißeinfach. «
    »Ich hab gesagt, daß Sie jetzt den Mund –«
    »Komm her –« Sie streckte die Hand aus, wollte ihr was tun, wurde unverschämt. Wie ein Tier, das einen letzten Angriff versuchte, bevor es verreckte, sinnlos und dumm. »Warum Julia und Fried? Warum Theresa? Gab’s noch andere? Sag’s mir doch. Liegen irgendwo noch welche rum?« Sie beugte sich nach vorn, aber das machte ihr kaputtes Bein nicht mit, ihr Krüppelbein, und sie sackte wieder zusammen. Kam nicht mehr vom Boden, kam nie wieder hoch. Aber konnte den Mund nicht halten.
    »Die waren alle so – na, die waren nicht so gut drauf, oder? Allein. Abgekapselt.« Ihr Atem ging schwer, vielleicht würde sie sterben jetzt. »Haben dich an dich selbst erinnert – wolltest du nicht – warum sagst du’s mir nicht? Man kann drüber reden, weißt du, über alles, ich meine, ich konnte das auch nicht, aber jetzt – man kann das.«
    »Stottern Sie nicht.« Biggi gab ihr einen Hieb gegen das Bein, doch es war nicht das böse Bein, es war das andere, sie kannte sich kaum noch aus. »Wenn Sie sich erschießen, tut’s keinem weh. Aber Sie haben Ihre Pistole gar nicht dabei, nicht?«
    Sie sagte nichts. Biggi lachte, fühlte das Lachen nicht und wollte es doch fühlen. »Sie versagen in Ihrem Job, Sie versagen im Leben, ja?«
    »Vielleicht«, flüsterte sie.
    » Durchsetzen haben Sie gesagt? Es gibt Leute, die das können, das sehen Sie ja, ich –«
    » Du? «schrie sie, »sicher, ja, und läßt dich vom Mosbach scheuchen und –«
    Dann hob sie die Hände, kurz noch war es zu erkennen. Hielt sie die Hände vors Gesicht und irgendeine schrie, aber Biggi wußte nicht, wer das war und ob es überhaupt so war oder ob die Schreie nur in ihrem Kopf waren, weil sie die Krücke beobachtete, wie sie schlug.
    Von selbst, die Krücke. Hörte nicht auf. Zeigte es ihr und schlug auf diese Stimme ein, schlug in ihr hochmütiges Gesicht und schlug auf den Kopf, schlug auf die Brüste, die sie dem Prinzen zeigte, schlug auf die Beine, die sie für ihn breitmachte, Nuttenbeine, schlug auf die Hände, die sich alles holten, einstrichen, einheimsten, was sie haben wollte, und die man bändigen mußte, bezwingen, weil sie nach ihr greifen wollten, sie schlagen, alle wollten nach ihr schlagen, doch das ging nicht, nie wieder, und sie schlug sie sich vom Leib, bis es nicht mehr ging, bis die Krücke aufhörte zu schlagen und wieder sanft wurde, glattes Holz, bis sie ihr aus der Hand fiel, weil sie weinen mußte.
    Irgendeine hatte wirklich geschrien. Sie wußte nicht, wer das gewesen war.
    Sie stolperte zurück, Schritt für Schritt, bis sie gegen den Tisch prallte. Sie sah hin und sah wieder weg und sah wieder hin. Sie schluchzte, wollte nicht. Kam einfach und hörte nicht auf, und sie wußte nicht, wieviel Zeit verging. Schmerzen im Magen, die hatte sie in den Magen geboxt, hatte dauernd versucht sich aufzurichten, bevor sie endgültig liegengeblieben war. Aber sie wollte doch nicht liegen, oder? Sie wollte doch leben. Alle wollten das.
     
    Das schwarze Tier mochte keine Zahlen. Ein großes schwarzes Tier, ein Vogel. Eben war er geflogen, über sie hinweggeflogen, Flügel, die alles
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