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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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verdunkelten.
    Achtundvierzig durch Fünf. Krumme Zahl. Neun-Komma – weiß nicht.
    Aber der Vogel lupfte ein bißchen die Flügel, machte Platz und es wurde etwas heller. Zahlen mochte er nicht.
    Zahlen. Als Kind hatte sie aus Spaß gerechnet und aus Angst. In Mathe war sie viel besser gewesen als in Deutsch, und sie hatte beim Zahnarzt angefangen, ganze Zahlenkolonnen im Kopf zu addieren und zu teilen, durch drei, durch sieben, durch zwölf.
    Dividieren. Es hieß dividieren. Als Polizistin mußte sie besser schreiben können als rechnen. Aber sie konnte besser rechnen als schreiben.
    Fünfundfünfzig-Komma-fünf durch sieben. Zu schwer. So ungefähr acht. Achtundneunzig, nein, hundertachtundneunzig durch vier. Mindestens – mindestens – wenn der Vogel zurückkam, mußte sie es wissen.
    Aber sie wußte es nicht. Und es dauerte. Es blitzte im Kopf, und der Körper war weg, bloß Feuer, wo der Körper war, und es dauerte, und er wurde ganz taub. Unscharf sah sie Füße, Beine, Tischbeine, Menschenbeine, direkt vor ihr. Es war kalt. Der Körper ging weg, und das Hirn drehte sich weiter. So starb man. So waren sie alle gestorben. Kalte Krallen.
     
    Warum war das so? Es war schon so gewesen, sie erinnerte sich, es dauerte, und dann wollte sie es nicht mehr tun.
    Eigentlich wollte sie es gar nicht tun, so war sie nicht. Es zu wollen, hieße ja, daß man plante und auflauerte und pervers war. Noch nie war sie so gewesen, pervers. Oder kriminell, noch nie.
    Das müßte sie wissen da unten. Müßte sie wissen.
    Es zog sich hin. Es war immer so schrecklich gewesen, weil es gedauert hatte. Sie hatte immer mittendrin aufhören wollen, weil sie merkte, was sie da tat, mit was sie da begonnen hatte, aber dann wären die aufgestanden und hätten sagen müssen: Hier. Da ist sie. Hätten es überall sagen müssen und mit dem Finger auf sie deuten, und was dann kam, konnte kein Mensch wollen.
    Es war etwas, das man ganz schnell vergessen mußte, man mußte schlagen und schlagen, und die hörten nicht auf zu schreien, zuckten und bewegten sich, und dann sah man, was man tat, und wollte es nicht mehr.
    Biggi wischte sich die Tränen mit dem Ärmel ab, das war grauenhaft gewesen. Martin hatte immer noch geguckt und gelebt, so ewig lange noch. Bei Julia hatte das Messer dagelegen, Julias Küchenmesser vom Abendbrot, und das hatte sie wohl genommen, damit es nicht so dauerte, doch sie erinnerte sich nicht genau. Julias böses Gelächter, das hörte sie noch. Die Worte, die hundsgemeinen Worte waren noch da.
    Zu Hause hatte sie sich umgezogen. Blutig alles. Das war lange her.
    Und jetzt? Sie traute sich nicht hinzusehen, aber sie mußte. Eine von ihnen hatte doch eben geschrien, welche? Julia hatte auch geschrien. Und Theresa. Martin. Langsam bückte sie sich, ihr Gesicht war ganz naß. Ihr wurde schwindelig und sie fiel auf die Knie. Langsam kroch sie hin zu ihr.
    Blut, die hatte jetzt Blut am Hals und an der Schläfe. Lief ihr in den Ausschnitt. Sie lag verdreht. Und hatte eine Hand über ihr linkes Auge gelegt und guckte an ihr vorbei.
     
    Abwarten vielleicht. Warten, bis die Blitze verglühten, das Wetterleuchten hinter ihren Augen. Warten, bis das Brennen im Hals verschwand und das Pulsieren im Kopf. Warten, bis die Kälte nachließ, alles war kalt. Lief auch etwas herunter, kalt und naß, rann von der Stirn über die Wange, lief irgendwohin, wo es alles versaute.
    Achtundsechzig durch neun. Sechs vielleicht, sieben. Paar Zerquetschte.
    Es war etwas passiert. Bisher war nie etwas passiert. Es war kein so gefährlicher Job. Männer waren es bis jetzt gewesen, zwei, drei läppische Angriffe von Männern, aber die jetzt Beine bewegten sich da vorn. Kamen womöglich, weil sie jetzt sterben mußte.
    Hände tatschten nach ihr. Sie wollte um sich schlagen, aber konnte nicht, Hände krochen an ihr hoch, Augen vor ihren Augen, und die Hände rissen ihr die Schulter ab, und sie wußte nicht, wer das Geräusch jetzt machte, ein Stöhnen, fast ein Schreien, sie oder die andere da. Sie wurde weggezogen, weg vom Boden, ihr Kopf hing in der Luft und das dauerte, dauerte, bis sie auf den Knien war, dann ließen die Hände sie los.
    Links war die Wand. Sie konnte sie sehen, bis der schwarze Vogel wieder kam, das große Tier, es flog auf sie zu. Sie drückte sich gegen die Wand, hielt sich fest an der Wand, wollte hineinkriechen, schwankte, rutschte herunter und richtete sich wieder auf. Blitze im Kopf, erst schwarz, dann rot, dann sackte sie
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