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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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Luft hing und verbrannte und sie nach vorne sackte und der Vogel sie packte und es abwärts ging, immer schneller in die Tiefe, und sie spürte den Aufprall nicht, als sie unten angekommen war. Aber es war still jetzt, ganz still.
    Vielleicht schon Tag, es war ein anderes Licht.
    Sie erwachte, als sie irgend etwas spürte, Haut spürte, Knochen. Ihre Finger umschlossen etwas Rauhes, Stoff, und als sie sich langsam aufrichtete, sah sie ihr Bein über einem anderen Bein. Sie lag auf dem Bauch, die andere auf der Seite. Sie hatte eine Hand auf der Schulter der anderen.
    Sie sah ihr ins Gesicht. Geschlossene Augen, geschlossener Mund, die hatte Blut unter der Nase. Sie legte einen Finger darauf, es fing an zu trocknen. Ging bis zur Oberlippe, da hörte es auf.
    Stille, nur ihr Keuchen und die tickende Uhr und ein startender Wagen weit weg. Alles ganz weit weg. Mit den Fingerspitzen strich sie ihr über den Hals und verharrte, dann berührte sie ihre Wange und nahm eine Haarsträhne weg. Zwei Flecken auf der Wange, wie Blutergüsse. Als sie ihr Handgelenk umfaßte, zitterte ihre Hand so sehr, daß sie nichts fühlen konnte. Sie trug zwei dünne goldene Kettchen am Handgelenk wie sie selbst.
    Ihr Bein auf dem anderen Bein, sie konnte es sehen, aber nicht spüren. Sie rollte herum und stieß sich mit den Armen ab, während gelbe Blitze vor den Augen tanzten, rutschte auf dem Rücken immer weiter weg von ihr, bis ihr Kopf gegen das Sofa stieß. Da lag die Tasche. Ihre Tasche mit ihrem Zeug drin, die Erinnerung an diese Tasche wie der Beweis, daß sie am Leben war. Stoßweise ihr Atem, ihre Zähne schlugen aufeinander.
    Sie kippte den Inhalt auf den Boden. Das Handy war da. Sie brauchte die Kurzwahl, es war eine Eselsbrücke. Stocker hatte die Kurzwahl mit seinem Namen. Also die Taste mit dem S. Also die 7. Und die Kurzwahltaste. Das war oben die mittlere. Erst die Kurzwahltaste, dann die 7, dann die Taste mit dem Bild des grünen Hörers. Als sie das Freizeichen hörte, fiel ihr das Handy aus der Hand, und als sie es mit der anderen wieder ans Ohr preßte, hörte sie das Freizeichen noch immer. Dann endlich eine Stimme.
    Sie wußte nicht genau, ob es seine Stimme war, aber sie fing an, ihm etwas zu erzählen. Daß sie hier nicht herauskam und die andere, wachte sie auf, wieder schlagen würde, ganz bestimmt, und sie würde wieder aufwachen, ja. Sie schlief jetzt. Dann hörte sie Stocker »WAS IST DENN?« schreien.
    »Jung«, sagte sie, hatte keine Ahnung, ob er das verstand.
    »WO?« schrie er, nie zuvor hatte sie ihn so schreien gehört. Eigentlich schrie er doch nie. Sie konnte das Ding ein Stück vom Ohr weghalten, aber dann verstand er sie ja nicht.
    »Jung. Hier. Ja« – Das Zimmer wurde wieder dunkel, alles verschwamm. Sie murmelte noch einmal »Ja«, weil sie dachte, er hätte etwas gefragt.
    »IN DER WOHNUNG?« brüllte er. »VON DER JUNG?«
    »Ja. Ja.« Eine Weile hörte sie gar nichts mehr, dann war er wieder da und schrie noch immer. »SPRECHEN SIE MIT MEINER FRAU. LEGEN SIE NICHT AUF.«
    Sie erinnerte sich an seine Frau und daran, wie sehr sie sich gewundert hatte, daß dieses Ekel so eine Frau hatte. Eine Frau, die aussah, als entstamme sie irgendeinem Adel, unheimlich schick und schön, bis zum Hals mit Manieren, daß man sich kaum traute, neben ihr groß was zu essen, weil man dann mit Sicherheit das Messer fallen ließ. Sie bestellte auch nicht Rotwein, sie nannte Namen. Ihre Stimme war ruhig und lieb, als sie leise ihren Namen rief und dann etwas über die Möbel sagte.
    »Da ist doch ein Schrank, oder? Wie sieht er aus?«
    »Schrank –« Sie mußte den Oberkörper drehen und das dauerte, dann sah sie den Schrank. »Holz, so dunkles. Oder- ich weiß nicht.«
    »Wieviel Türen?«
    »Was?«
    »Wieviel Türen hat er?«
    Sie sah hin. Links eine Tür und rechts eine Tür und in der Mitte zwei – drei – vier Schubladen. Vier dürre Beine.
    »Gibt es Bilder?«
    Sie wußte es nicht, wollte den Kopf schütteln, und etwas drückte ihr auf die Augen und breitete sich aus, etwas Schwarzes, und sie konnte nicht reden, hörte nur die Stimme, wie sie »Bilder« rief, die Stimme aus dem Handy, das krächzend auf dem Boden lag, als sei es lebendig. Sie nahm es wieder hoch und hörte noch immer die Stimme, » Bilder. Sehen Sie hin, gucken Sie zur Wand.«
    Langsam hob sie den Kopf, sah etwas hängen und sagte: »Ja.«
    »Welche Bilder? Wie sehen Sie aus?«
    »Ja. Landschaft. Und ein Schiff auf dem Wasser. Und ein
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