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Mimikry

Mimikry

Titel: Mimikry
Autoren: Astrid Paprotta
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sie zweimal die Woche ins Fitneßstudio rennen?«
    »Weil sie es tun.« Sie sah sich um. Deckenhohe Regale mit Büchern und Videos, ein Ledersofa und ein mit Papieren bedeckter Tisch. Zwei rote Luftballons schwebten unter der hellblau gestrichenen Decke.
    Hilmar nickte. »Jung, dynamisch, discotauglich, sonst kriegt man wohl keinen Job mehr. Alles vom Fernsehen abgeguckt, was?«
    »Bleiben Sie bitte beim Thema«, sagte Stocker. »Das ist kein Kaffeeklatsch.«
    »Ich bin beim Thema.« Hilmar lehnte sich gegen die Wand. Über ihm, mit Stecknadeln befestigt, ein zerknitterter Sonnenuntergang. »Frau Bischof hat’s dem Fernsehen anvertraut.«
    »Was?«
    »Alles.« Er lachte. »Daß sie geil ist. Einen sucht. Die sind alle krank, quatschen die Allgemeinheit voll. Jetzt hat sie den Salat.«
    Stocker verschränkte die Arme. »Das ist nicht sehr verständlich, was Sie da sagen.«
    »Nicht?«
    »Wir machen hier kein Quiz.« Stocker ging auf ihn zu, trat auf Zeitschriften und blieb wieder stehen. »Also, Julia Bischof. Was war mit ihr? Was hatten Sie mit ihr? Wenn Sie sich hier nicht verständlich ausdrücken können, machen Sie es eben auf dem Polizeipräsidium, möchten Sie das?«
    »Oh, er droht mir. Was soll ich mit der gehabt haben?« Hilmar stieß sich von der Wand ab und trat ans Fenster. »Ich hab der kaum mal guten Tag gesagt. Dann sehe ich die im Fernsehen, da erzählt sie’s rum. Daß sie so alleine ist, die arme Seele.« Mit den Fingern trommelte er aufs Fensterbrett. »Ich gucke mir diesen Schrott ja an. Sieht man, welche Sorgen die Menschheit hat.«
    »Was gucken Sie?« fragte Stocker.
    »Eine Talkshow « , sagte Hilmar geziert. Er drehte sich um. »Da war sie drin, die Bischof. Hat sie gesessen und gequasselt.«
    »Wie heißt die?« Ina Henkel zog ihr Notizbuch aus der Tasche, und Hilmar klatschte in die Hände. »So is’ brav. Alles mitschreiben. Menschen bei Mosbach. Schon mal gesehen?«
    »Nein«, sagte sie und schrieb es auf. »Ich hab gar keine Zeit, tagsüber vor dem Fernseher zu sitzen.«
    »Das war eine sehr taktlose Bemerkung«, sagte Hilmar. »Lernt man auf der Polizeischule nicht, daß es Arbeitslose gibt?«
    Ina Henkel räusperte sich, sah zu Stocker. Stocker lächelte.
    »Ich arbeite Teilzeit.« Hilmar öffnete das Fenster. »Ja, eine interessante Sendereihe. Einen hatten sie, der quatscht, wie er’s mit seinem Gaul treibt, können Sie folgen? Pferd. War sogar ein Psychiater dabei, der erklärt hat, wie das kommt. Dann hatten sie eine, die sagt, daß sie Männer mit langen Schwänzen will. Erzählen die da. Erzählen die alles. Einer gibt bekannt, daß er nicht mehr essen kann, seit sein Kind gestorben ist. Kann nicht mehr essen, aber quasseln kann er noch. Und die Bischof von nebenan war auch da.«
    »Haben Sie ihren Freund mal gesehen?« Ina Henkel steckte das Notizbuch wieder weg.
    »Die hat einen Freund gehabt?« Hilmar schüttelte den Kopf. »Keine Ahnung. Im Fernsehen hat sie die einsame Jungfer gegeben.«
    Stocker stieg über einen der Zeitschriftenberge hinweg und blieb vor dem Tisch stehen. »Sind Sie mal rübergegangen, um die Nachbarschaft zu pflegen?«
    »Nachbarschaft? Ist doch saukomisch, wenn man seine Nachbarin im Fernsehen sieht. Ich hab nie mit der geredet und plötzlich wußte ich alles von der. Vielleicht kommen die alle noch mal.« Mit beiden Armen machte er eine Geste, die das ganze Haus umfassen sollte, dann drehte er sich um und befühlte die Erde seiner Pflanzen. Einen Moment lang war es so still, daß sie den Kühlschrank in der Küche brummen hörten. Draußen auf der Straße lachte ein Kind.
    Ina Henkel stellte sich neben ihn ans Fenster. »Wenn sie das alles rausposaunt«, sagte sie, »kann man es doch mal versuchen. Kann man gucken, was sich machen läßt.«
    Hilmar tippte mit einem Finger gegen die Scheibe. »Was ist mit Ihnen? Sind Sie gesund?«
    »Aber sie wollte gar nicht.« Sie stieß die Luft aus, es hörte sich wie ein Pfeifen an. »Das war jetzt – blöd, nicht?«
    Hilmar sagte nichts. Sie sah ihn nicht an, als sie fragte: »Warum hat sie sich so dumm angestellt? Was hat sie gesagt?«
    »So weit kommt das. Sie sind ja pervers.« Er stieß eine Faust in die Luft. »Sie sind abartig, das ist Polizeiterror.«
    »Oh ja«, sagte sie.
    »Oder?« Hilmar sah Stocker an, als erwarte er Beistand. »Für wen hält die mich? Ich kenne die Scheißbischof nur aus dem Fernsehen. Ich gucke das, weil ich diese Idioten studiere, weil ich –« Er schloß die Augen. »Ich
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