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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum
Autoren: Mehler
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schielen, musste einen Blick dorthin werfen, wo Marco Liebig und Sprudel standen. Beide hatten die Kiefer aufeinandergepresst, und Fanni kam es so vor, als hielten sie die Luft an.
    Nach der Ansprache des Stadtrates wünschten sämtliche Vereinsvorstände dem Verblichenen ein sanftes Ruhen, und dann sang Elsie endlich »Jesus lebt«.
    Der gesamte Frauenbund hielt – wie ein Trupp der Schweizer Garde in Habachtstellung – links und rechts des offenen Grabes von Pfarrer Winzig Wache, während ganz Birkdorf und der halbe Landkreis vorbeidefilierten.
    Diesem und jenem sandten die Wächterinnen ein grüßendes Lidflattern, Fanni würdigte keine eines Blickes. Wusste denn jede von ihnen, wie viel sie dazu beigetragen hatte, dass der Frauenbund jetzt ohne Vorsitzende dastand, ohne Rosie Hübler, die das Steuer stets so sicher in der Hand gehalten hatte?
    Die Birkdorfer einschließlich des Frauenbundes eilten vom Grab geschlossen ins Dorfwirtshaus. Fanni ließ Hans Rot im Kreis seiner Schützenbrüder ziehen und ging mit Leni nach Hause.
    Kaum hatte sie ihren schwarzen Mantel im »Schrank für in Misskredit geratene Kleidung« verstaut, rief Sprudel bei Fanni an und fragte, ob sie zur Hütte kommen könne.
    »Ja«, antwortete Fanni. »Hans wird nicht so bald zu Hause sein. Es muss doch ziemlich lang dauern, Pfarrer Winzig Kilo für Kilo unter die Erde zu trinken.«
    »Zeit genug, um einen neuen Fall zu lösen?«, fragte Sprudel lachend.
    Fanni schnappte nach Luft. »Du hast doch nicht etwa …?«
    Sprudel gluckste. »Das ist dein Privileg. Aber vielleicht solltest du eine Weile warten, bevor du über die nächste Leiche stolperst.«
    Fanni versprach es ihm.
    Eine knappe Stunde später saßen sie sich in den Polstersesseln gegenüber.
    Sprudel sieht zufrieden aus, dachte Fanni.
    Zufrieden! Er könnte glücklich aussehen! Zwei Schritte, Fanni Rot, und er sieht glücklich aus!
    Fanni lächelte Sprudel an, und jetzt sah er beinahe glücklich aus.
    Na, was will man denn mehr?
    Fannis Blick wanderte über Großmutters dezimiertes Silberservice (die Kanne hatten sie entsorgen müssen) zur Fensterbank, wo Tulpen in einer Vase standen, und glitt weiter zum Herd, wo ein Feuer prasselte, weil es wieder kalt geworden war in diesen letzten Märztagen.
    Fannis Augen ruhten einen Moment lang
    – Täuscht es oder liegt ein Hauch von Wehmut in ihnen? –
    auf der Patchworkdecke, die über der Matratze auf der Liege ausgebreitet war, und spazierten dann weiter über die Borde: über Bücher, Geschirr, gerahmte Fotos.
    In der Hütte sah es aus wie immer.
    Draußen sieht es auch aus wie immer!
    Am Karsamstag hatten sich Fanni und Leni gleich nach dem Mittagessen aus dem Haus der Rots verdrückt und waren erst gegen sieben Uhr abends zurückgekommen. Sie hatten den ganzen Nachmittag bei der Waldhütte verbracht, wo Marco und Sprudel schon seit dem Morgen dabei waren, an die Nordwand ein neues Klohäuschen anzubauen.
    Ihr Aufbruch war zu Hause kaum zur Kenntnis genommen worden.
    Caro hatte Minna schon abgeschleppt, da saßen die übrigen Rots noch beim Essen. Max war sogar schon nach dem Frühstück zum Klein-Hof hinaufgerannt. So gegen elf war er – zusammen mit Ivo – noch mal vorstellig geworden. Er hatte so lange herumgedruckst, bis Ivo der Geduldsfaden riss. Er wandte sich an Fanni und fragte artig:
    »Bitte, Frau Rot, darf der Max bei uns zu Mittag essen? Meine Mutter hat extra gesagt, dass sie sich freut, wenn er mit uns isst. Und – Sie müssen sich keine Sorgen machen, Frau Rot, wir dürfen uns nur mit sauberen Händen an den Tisch setzen.«
    Fanni hatte gelacht und ihre Erlaubnis gegeben, ohne erst Vera zu fragen.
    Dieser Ivo, hatte sie gedacht, der ist auf Draht, richtig pfiffig ist der.
    Lächelnd hatte sie Nudelwasser aufgesetzt, während sie das kantige Gesicht des alten Klein vor sich sah. »Bauer«, hatte sie gemurmelt, »jetzt kriegst du einen Nachfolger, wie du ihn dir nie hättest träumen lassen. Dass dein eigener Sohn nicht weiter vorausplanen kann als vom Kuheuter zum Milchstrahl, spielt keine Rolle mehr. Wenn du Glück hast, Bauer, dann macht der Ivo aus dem Klein-Hof einen Vorzeigebetrieb. Ach was, Glück, die Sache ist längst geritzt.«
    Die anderen – Hans, Vera und Bernhard – waren nach dem Essen die paar Schritte zu der Ausbuchtung am Erlenweiler Ring gegangen, wo Bernhard seinen Wagen geparkt hatte. Sie wollten ihn einer gründlichen Inspektion unterziehen, weil er verkauft werden sollte. Fanni
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