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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum
Autoren: Mehler
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Birkdorfer, »wir haben die meisten Einwohner, deshalb heißen wir auch Dorf und nicht Weiler. Die ganze Gemeinde ist nach uns benannt. Egal, ob einer in Altfleck oder Birkenweiler wohnt, seine Postanschrift lautet ›Birkdorf, Altfleckstraße, oder eben Birkenweilerstraße, Nummer sowieso‹. Außerdem steht auf unserem Dorfplatz die größte Birke vom ganzen Landkreis.«
    »Die Birke zählt kein bisschen«, konterten die Alteingesessenen aus Birkenweiler. »Unsere Häuser liegen mitten in einem ganzen Wald gestandener Birken, alter Birken, älter als Birkdorf.«
    Seit der soeben beerdigte Bürgermeister vor zwei Jahren vorgeschlagen hatte, die Leute von Birkenweiler sollten ihren Ort in Laubholzweiler umbenennen, hatten sich die Fronten verschärft und der Bürgermeister war bei den Birkenweiler-Leuten schwer in Ungnade gefallen. Fanni fragte sich, wie viele aus Birkenweiler wohl zu seiner Beerdigung gekommen waren. Hans Rot würde es wissen.
    Plötzlich hielt sie mitten auf dem Hauptweg an. Wo hatte sie eigentlich während der Beerdigung gestanden?
    Das Grab des Bürgermeisters lag im ältesten Segment gleich neben dem vier Meter hohen Kreuz, das von jedem Winkel des Friedhofs aus zu sehen war. Zwei Gräberreihen dahinter stand das Leichenhäuschen mit Platz für zwei aufgebahrte Tote.
    Aufgebahrt werden sie heutzutage nicht mehr, korrigierte sich Fanni. Und man sagt vielleicht auch nicht mehr Leichenhaus. Sie nahm sich vor, Hans Rot zu fragen, wie man heutzutage dazu sagte.
    Aber zuerst musste sie ihre Handschuhe finden.
    Wir sind mit dem ersten Drittel des Leichenzugs auf den Friedhof gekommen, rekapitulierte Fanni.
    Sie hätte sich ja viel lieber weiter hinten in den Zug eingereiht, aber ihr Mann hatte nach vorn gedrängelt. Fanni konnte ihm nicht entwischen, denn er hielt sie am Arm gepackt.
    So ist er halt, dachte Fanni, immer vorne dran, wenn sich eine Möglichkeit bietet, sich in Szene zu setzen. Aber wehe, ein bisschen Stil ist gefragt, da stellt er sich ganz hinten an. Hans Rot, grummelte Fanni, kennt schier jeden im Umkreis von zehn Kilometern. Ulrich Zankl, den verstorbenen Bürgermeister von Birkdorf, hat er sogar privat und persönlich gekannt! Hans kennt auch Anna Eder, die Oberbürgermeisterin von Deggendorf – nicht ganz so persönlich allerdings. Alois Schraufstetter, den Kommandanten der Deggendorfer Feuerwehr, kennt er und den Wirt von Schaching sowieso. Aber komme ihm bloß keiner mit Namen wie Newton, Kant, Böll, die sind Schall und Rauch für ihn.
    Fanni peilte das Friedhofskreuz an und befand es von der Stelle am Hauptweg, an der sie soeben stehen geblieben war, als viel zu weit entfernt.
    Ich stand bei der Beerdigung näher dran und ein Stückchen weiter rechts davon, dachte sie und ging weiter.
    Weil sich Hans im Friedhof vom Trauerzug ausgeklinkt hat, erinnerte sich Fanni, weil er, statt mit der ganzen Gemeinde den Hauptweg entlangzuziehen, etliche Abkürzungen über Nebenwege genommen hat, sind wir ziemlich nah ans Grab des Bürgermeisters herangekommen. Unsere Position befand sich zwei Gräberreihen davor, höchstens drei.
    Sie begann in der dritten Reihe mit der Suche nach ihren Handschuhen.
    Jeweils nach drei, vier Schritten innehaltend las sie die Namen auf den Grabsteinen, denn sie musste das Grab von Erna Saller finden. Die Goldbuchstaben hatten sich in Fannis Hirn geradezu eingeschmolzen, und sie würden auf dunklem Granit sicher leichter zu entdecken sein als schwarze Handschuhe.
    »Weber«, »Praml«, »Hübler« … Fanni querte einen Seitenweg: »Hönig«, »Kundler«.
    Kundler!, natürlich, hier lag Frau Kundler bestattet.
    Vergangenen Herbst ist ihre Beerdigung gewesen, entsann sich Fanni. Und Hans Rot befand sich in jenen Oktobertagen wegen dieser Beerdigung schwer in der Zwickmühle. Er hatte Vera versprochen, am Einheitstag, der in diesem Jahr auf einen Mittwoch fiel, nach Klein Rohrheim zu kommen – samt Fanni, versteht sich – und bis zum Wochenende zu bleiben. Doch dann war Frau Kundler gestorben und sollte am Donnerstag, den 4. Oktober, beerdigt werden.
    »Kruzitürken, Kreuzdonnerwetter«, hatte Hans Rot geflucht, »dass alles aber auch so saudumm zusammenkommen muss. Die Kundlers sind quasi unsere Nachbarn. Wir müssen zur Beerdigung, wir können uns da nicht drücken.«
    »Hans Rot hat neben Ihrem Sarg Spalier gestanden, und er hat es trotzdem geschafft, die Dampferfahrt mit dem Klein Rohrheimer Kegelclub nicht zu versäumen, das nennt man
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