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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum
Autoren: Mehler
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Fanni.
    Hans Rot zuckte die Schultern. »Wer weiß, was in so einem Heiden vorgeht.«
    »Er ist katholischer Priester«, hielt Fanni ihrem Mann vor.
    »Na und!«, fuhr der auf. »Meinst du, ein bisschen Seminarschule kann einem aus dem Busch die Flausen austreiben?«
    Fanni begann sich zu fragen, wieso ihr Mann so schlecht gelaunt war. Sensationen wie die heutige, er selbst mittendrin, das war doch sonst ganz nach seinem Geschmack.
    Er konnte sich nicht genug in den Vordergrund manövrieren!
    Fanni hätte beinahe aufgelacht. Der tote Pfarrer hatte Hans Rot die Schau gestohlen. Alle Mann hatten statt seines Entdeckers den toten Pfarrer angestarrt, wohl weniger weil der tot war, sondern weil dabei Blut geflossen sein musste.
    »Wieso war das Gesicht des Pfarrers blutverkrustet?«, fragte Fanni.
    »Mit dem Kopf auf eine Kante aufgeschlagen, als er zusammenbrach, meint Wieser«, antwortete ihr Mann missmutig.
    »Aber da war doch alles mit Kränzen gepolstert«, wandte Fanni unvorsichtigerweise ein.
    »Himmelkreuzdonnerwetter, Fanni!«, schrie Hans. »Fang jetzt bloß nicht an, dämliche Anschauungen zum Besten zu geben. Interessiert niemanden, absolut niemanden. Der katholische Frauenbund kniet geschlossen in der Kirche und betet für unseren Pfarrer. Aber meine Frau hockt zu Hause zwischen ihren Kriminalromanen und spielt Sherlock Holmes. Meine Frau muss sich nämlich nicht ins gesellschaftliche Leben unserer Gemeinde einbringen. Meine Frau muss keine sozialen Kontakte pflegen. Fanni, du bist ein Soziopath.«
    Jesus, dachte Fanni, wo hat der Hans das Wort her?
    Fortbildung.
    Ja, natürlich, je weniger Arbeit im Kreiswehrersatzamt anfällt, desto öfter werden Rot und Co. zu allen möglichen Kursen geschickt.
    Und dort merkt er sich genau, was er seiner Frau bei passender Gelegenheit an den Kopf werfen kann.
    Fanni sah ihren Mann an und registrierte seinen triumphierenden Blick. Dieser anmaßende Blick wurmte sie auf einmal dermaßen, dass sie etwas tat, was sie in all den Jahrzehnten ihrer Ehe mit Hans Rot noch nie getan hatte.
    Statt die Wogen zu glätten, pustete sie mitten hinein:
    »Der Frauenbund betet fürs Seelenheil des Pfarrers? Wozu das denn, ich dachte immer, der Klerus sitzt bereits zu Lebzeiten im Fahrstuhl zum Himmel.«
    »Du kapierst überhaupt nichts, Fanni!«, schrie Hans zurück. Dann stürmte er aus dem Zimmer und schlug die Tür hinter sich zu.
    Toll gemacht, Fanni. Jetzt hängt der Haussegen schief.
    Fanni lachte freudlos auf. Segen! Ihre Ehe mit Hans Rot war von Anfang an einzig und allein von Kalkül gesegnet gewesen.
    Sie hatte Hans vor gut dreiunddreißig Jahren geheiratet, weil sie schwanger war – schwanger von Dr. Heimeran, Professor für Mikrobiologie. Sieben Monate später hatte sie Zwillinge geboren.
    Hans Rot wusste bis heute nicht, dass Fanni zwei Kuckuckseier in sein Nest gelegt hatte. Was Fanni da begangen hatte und immer noch beging, das war fortgesetzter Betrug – starrköpfig gesehen jedenfalls.
    Als Buße hatte Fanni über all die Jahrzehnte Hans Rots Macken hingenommen, und die waren nicht immer leicht zu ertragen gewesen.
    Er war Leni und Leo ein guter Vater!
    Ein sehr guter, gab Fanni zu. Und die beiden mögen ihn, so wie er ist. Sie legen nicht alles, was er sagt und tut, auf die Goldwaage.
    Das nennt man Toleranz, Fanni Rot!
    Davon hatte ich auch mal eine ganze Menge, dachte Fanni. Scheint mir abhandengekommen zu sein.
    Und was nun, Fanni? Zwergenaufstand? Fanni-Lügenhäuptling gräbt das Kriegsbeil aus?
    Fanni schüttelte den Kopf, ging ins Bad und machte sich zum Zubettgehen fertig. Durch den Glaseinsatz in der Wohnzimmertür konnte sie erkennen, dass Hans Rot es sich mit einer Flasche Bier vor dem Fernsehapparat bequem gemacht hatte.
    Morgen früh würde er seinen Kaffee schlürfen, und er würde so tun, als gäbe es seine Ehefrau überhaupt nicht. Gewissermaßen blieb ihm gar nichts anderes übrig, denn Fanni hatte sich, seit die Kinder aus dem Haus waren, angewöhnt, erst gegen zehn zu frühstücken. Bis Mittag würde dann der Ärger begraben sein – verschüttet unter Neuigkeiten, Klatsch, Geschwätz, Scherereien.
    Als Fanni am nächsten Morgen um kurz nach halb zehn zum Postkasten hinausging, um die Zeitung zu holen, die sie gewöhnlich las, während sie ihr Müsli löffelte, ließ sie ein schrill kratzendes »Guten Morgen, Frau Rot« zusammenfahren.
    Eisenfeile auf Wellblech! Die Stimme gehörte Frau Praml. Fanni seufzte und drehte sich zum Nachbargrundstück
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