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Milchschaum

Milchschaum

Titel: Milchschaum
Autoren: Mehler
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mit ihm.
    Fanni konnte sich nicht erklären, wie es auf einmal kam, aber plötzlich fielen ringsum Gabeln und Messer klappernd auf halb leer gegessene Teller, und sämtliche Schützen eilten hinaus. Sie blieb einsam an dem Tisch zurück, der für den Schützenverein reserviert gewesen war. Einige der Trauergäste hoben die Köpfe von ihrem Leichenschmaus und sahen Fanni neugierig an.
    Da verdrückte sie sich.
    Weil ihr Mann den Autoschlüssel in der Tasche stecken hatte, ging sie die drei Kilometer nach Erlenweiler zu Fuß, auf dem Radweg an der Landstraße entlang, die von der Kreisstadt Deggendorf an diversen Dörfern und Weilern vorbei zum Bogenberg führte. Von dieser Hauptverkehrsstraße zweigten mehr oder weniger breite Nebenwege ab. Einer davon war der Erlenweiler Ring, so genannt, weil das Sträßchen vor den letzten beiden Häusern (dort wohnten Beutels und Webers) einen Kreis beschrieb, um dann wieder in sich selbst zu münden. Die Rots wohnten am Erlenweiler Ring Nummer 8.
    Auf dem letzten Stück der Strecke nach Hause begann sich Fanni zu fragen, wieso ihr der Sanka nicht längst entgegengekommen war.
    War wohl nicht mehr nötig!
    Fanni nickte. Falls es der Schlaganfall nicht zuwege gebracht hat, ist es dem Frost gelungen, Pfarrer Winzig den Garaus zu machen, dachte sie.
    Und warum? Weil Fanni Rot alles dadurch verzögert hat, dass sie ihr Handy grundsätzlich zu Hause in der Schublade lässt – wider alle Vernunft!
    Fanni schlug die Haustür zu und hoffte, damit auch das Gedankenflüstern auszusperren. Sie schälte sich aus dem Mantel, zerrte die Stiefel von den Füßen, tappte auf Socken in die Küche und schaltete den Wasserkocher ein.
    Drei Stunden später hatte Fanni einen Aufsatz mit dem Titel »Wahrnehmung und Verhalten« sorgfältig durchgelesen, den Leni ihr neulich mitgebracht hatte. Fannis älteste Tochter wusste, dass ihre Mutter den Geheimnissen des menschlichen Körpers gern auf der Spur war. Während der Lektüre hatte Fanni die ganze Kanne Tee leer getrunken.
    Später hatte sie ihren schwarzen Mantel wieder im »Schrank für in Misskredit geratene Kleidung« verstaut, die Spülmaschine ausgeräumt und die Zimmerpflanzen gegossen.
    Am Erlenweiler Ring gingen die Straßenlaternen an. Fannis Magen meldete sich mit leisem Knurren. Sie drapierte zwei Scheiben Vollkornbrot, ein Stückchen Ziegenkäse und fünf Oliven auf einen Teller. Als sie sich das Glas Rotwein einschenkte, das sie dazu trinken wollte, kam ihr Mann nach Hause. Er roch nach Schnaps.

2
    Die Schützen hatten auf den ersten Blick gesehen, dass der Pfarrer tot war, und Hans Rot hatte sich ein weiteres Mal mit der Rettungsleitstelle in Verbindung gesetzt. Ein Sanka sei nun doch nicht vonnöten, ein Notarztwagen ebenso wenig, hatte er erklärt und hinzugefügt, den Tod des Pfarrers könne auch Dr. Wieser bescheinigen.
    Dr. Wieser betrieb in Birkdorf gleich neben der Sparkasse eine Praxis für Allgemeinmedizin und hatte eben mit der Abendsprechstunde beginnen wollen, als ihn der Vorstand des Schützenvereins wegholte. Von seiner Praxis zum Friedhof waren es nur fünf Gehminuten, denn in Birkdorf lag alles erfreulich nah beieinander: Dorfwirtshaus, Kirche, Edekageschäft, Schule, Kindergarten, Magistrat, Sparkasse, Arztpraxis, Friedhof.
    Fünf Mann halfen Dr. Wieser dabei, den Pfarrer auf den Rücken zu legen. Fünf Mann starrten in das blutverkrustete Gesicht des Toten. Fünf Mann hörten ein Rascheln, blickten auf und sahen Togo-Franz den Hauptweg hinuntereilen.
    »Togo-Franz?«, unterbrach Fanni den Bericht ihres Mannes.
    Er sah sie vorwurfsvoll an. »Selbst Fanni Rot wird doch wohl schon von dem Gastpriester aus Westafrika gehört haben, der im Pfarrhof wohnt und den alle Togo-Franz nennen, weil niemand seinen wirklichen Namen aussprechen kann.«
    Natürlich hatte Fanni von ihm gehört. Sie hatte ihn sogar schon gesehen. Sie wusste auch, warum der Gastpriester Franz und nicht Hans, Sepp oder Max genannt wurde. Frau Praml hatte es ihr erklärt. Frau Praml war genauestens darüber informiert, denn Frau Praml gehörte dem Birkdorfer Frauenbund an. Außerdem war sie eine Busenfreundin von Elsie Kraft, der Starsopranistin des Kirchenchors.
    Togo-Franz war zu seinem Namen gekommen, weil er einerseits aus Togo stammte und andererseits eine Abhandlung über Franz von Assisi schrieb. Frau Praml kannte sogar den Titel der Denkschrift: »Der Sonnengesang des heiligen Franz von Assisi«.
    »Wieso ist Togo-Franz weggerannt?«, fragte
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