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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
Autoren: Melissa Fairchild
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Kapitel 1
    D er Junge schlug die Augen auf, doch die Welt um ihn herum blieb dunkel.
    Bin ich blind?, fragte er sich.
    Nein, etwas bedeckte sein Gesicht, denn er spürte, wie seine Wimpern es berührten. Hatte ihm jemand die Augen verbunden? Als er den Verband mit der rechten Hand entfernen wollte, geschah nichts. Also nicht nur blind, sondern auch gelähmt!
    Gedämpfte Geräusche drangen an sein Ohr – sie klangen weit entfernt und verzerrt, als höre er sie unter Wasser. Es war ein Quietschen, das abwechselnd lauter und leiser wurde. Der Lärm verursachte ihm Kopfschmerzen. Wieder versuchte er, die rechte Hand zu regen, aber sie blieb hartnäckig liegen.
    Da fiel ihm ein, dass er noch einen zweiten Arm besaß.
    Er gab ihm Anweisung, sich zu bewegen, und siehe da, er gehorchte prompt. Der Junge zog sich den Stoff vom Gesicht und schnappte nach Luft, als grelles Licht auf ihn eindrang. Der Stoff (eigentlich war es, wie ihm nun klarwurde, Verbandsmull) hatte auch seine Ohren bedeckt, weshalb der Lichtansturm von einem akustischen Überfall begleitet wurde. Eine lange Zeit – ob Minuten oder Stunden, konnte er nicht sagen – waren seine Sinne völlig überwältigt. Er lag nur da und ballte die Fäuste, während die Welt auf ihn einstürzte.

    Gesichter kamen zu Besuch. Das erste gehörte einem dunkelhäutigen Mann mit gütigen Augen und einem müden Zug um den Mund. Dann war da noch eine Frau, viel blasser als der Mann, mit einer kleinen runden Brille auf dem winzigen Näschen. Ein glatzköpfiger Arzt leuchtete ihm einige Male ins Auge und murmelte: »Wie seltsam!« Oder: »Wirklich erstaunlich!« Das angenehmste Gesicht gehörte einer pummeligen und hübschen jungen Frau. Sie hatte das Haar zurückgebunden und trug eine weiße Haube. Er wusste, dass die Haube etwas zu bedeuten hatte, aber es fiel ihm nicht ein, was es war. Wenn die Frau erschien, lächelte sie ihn an und berührte seinen linken Arm. Allerdings schwang in ihrem Lächeln etwas mit, das ihm nicht gefiel. War es Angst?
    Der Junge wollte den Kopf drehen, um zu sehen, was die Frau mit der weißen Haube da tat, doch sein Hals war ganz steif und tat weh. Also bewegte er nur die Augen und entdeckte etwas an seinem Arm. Der Gegenstand war hellblau und hatte die Form eines Schmetterlings. Eine Nadel steckte in dem Schmetterling, in seinem Arm, und war mit weißem Klebeband befestigt. Von der Nadel aufwärts führte ein Schlauch zu einem durchsichtigen Plastikbeutel an einem Gestell. Als sein Blick dem Schlauch folgte, erweiterte sich sein Gesichtsfeld, und er stellte fest, dass er sich in einem großen, weißen Raum befand.
    Eine Infusion, dachte er. Ich hänge an einer Infusion. Das hier ist ein Krankenhaus.
    Sein Gesichtsfeld verengte sich wieder, und er sah erneut die Frau an. Sie lächelte und richtete sich auf.
    »Sie sind Krankenschwester«, sagte der Junge. Die Worte aus seinem Mund klangen brüchig und heiser.
    »Ganz richtig, junger Mann«, erwiderte sie, und er erkannte das, was er hinter ihrem Blick erahnt hatte, auch in ihrem Tonfall. Gespielte Fröhlichkeit und Zweifel. »Ruh dich ein bisschen aus.«
    Sobald die Schwester sich umwandte, begann das Quietschen von neuem. Der Junge versuchte die Quelle dieses Geräuschs zu ergründen, und diesmal gelang es ihm, den Kopf zu drehen. Aber der Hals tat ihm so weh, dass er immer noch zu langsam war. Und als er endlich über das Fußende des Bettes hinwegspähte, war das Quietschen bereits verklungen und sein Urheber verschwunden.
    Allerdings hatte er nun Gelegenheit, den Rest seines Körpers zu betrachten. Sein rechter Arm steckte in einem Gipsverband. Wenigstens wusste er nun, warum er ihn nicht rühren konnte. Auch beide Beine waren eingegipst und ruhten auf einem Gestell, das – wie ein Flugzeug aus der Pionierzeit – nur aus Drähten, Flaschenzügen und Gewichten zu bestehen schien.
    »Ein Streckapparat«, murmelte er für sich. So etwas nennt man einen Streckapparat. Beide Beine gebrochen, und dazu noch den rechten Arm. Was ist bloß passiert?
    Die Schmerzen im Genick waren zu groß, so dass er den Kopf zurück aufs Kissen sinken ließ. Kurz darauf kam die pummelige Krankenschwester wieder und half ihm, zwei riesige rote Tabletten zu schlucken, und er schlief eine lange Zeit.

    Als er das nächste Mal aufwachte, strömte orangefarbenes Licht durch die Fenster. Draußen wiegten sich hohe Bäume im Wind und brachten das Licht zum Tanzen. Es war Abend.
    Mit einigen Kissen im Rücken hatte er die
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