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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
Autoren: Melissa Fairchild
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Mond. Die Station war still und in einen silbrigen Schimmer getaucht. Am Ende der langen Bettenreihe bildete die gelbliche Beleuchtung des Schwesternzimmers eine warme Insel. Dem Jungen schien es unendlich weit bis dorthin.
    Während die anderen Kinder schliefen, fühlte er sich hellwach. Am liebsten wäre er aus dem Bett gesprungen und durch die Krankenhausflure hinaus in die Nacht gelaufen, aber er war in einem dämlichen Streckapparat gefangen, und seine Beine fühlten sich schwer an. Als er sich kratzen wollte, stellte er fest, dass sie nicht mehr juckten.
    In einer Ecke des Krankenzimmers öffnete sich eine Tür, die der Junge eigentlich für die eines Wandschranks gehalten hatte. Doch das war offenbar ein Irrtum gewesen, denn im nächsten Moment erschien Foster, der seltsame Buckelige, mit seinem Rollwagen. Obwohl das Quietschen der Räder die Mondnacht durchschnitt, wachte keiner der anderen Patienten auf, und auch die Schwestern drüben schienen nichts zu bemerken.
    Foster stellte seinen Rollwagen am Fußende des Bettes ab und setzte sich auf den Besucherstuhl.
    »Geht es dir besser?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht«, antwortete der Junge, obwohl er sich in Wirklichkeit besser fühlte.
    »Klopf, klopf«, sagte Foster.
    »Haben Sie denn nichts Besseres zu tun?«
    »Klopf, klopf.« Mit einem strahlenden Lächeln legte Foster die Fingerspitzen aneinander. Im Gegensatz zu seiner Nase waren seine Finger sehr kurz und stummelig, so als wären sie nicht richtig ausgewachsen.
    »Ach, meinetwegen. Wer ist da?«
    »Gänsefleisch.«
    »Hä?«
    »Gänsefleischdietüraufmachen?«
    »So einen dämlichen Witz habe ich noch nie gehört.« Er grinste wider Willen.
    Fosters Augen weiteten sich. »Wirklich? Also kennst du viele Witze?«
    »Ich … keine Ahnung. Kann sein.«
    »Wohl alle vergessen, was?« Foster lächelte zwar, doch es schwang noch etwas anderes dabei mit. Wie bei der Krankenschwester.
    »Was ist mit mir passiert?«, fragte der Junge plötzlich. »Warum bin ich hier? Und weshalb schauen mich alle so komisch an?«
    »Dingdong!«, rief Foster und läutete eine imaginäre Glocke. »Du hast deine Höchstquote von drei Fragen erreicht, und ich will nun versuchen, sie der Reihe nach zu beantworten. Erstens, du hattest einen Unfall. Zweitens, du bist hier, weil du einen Unfall hattest. Und drittens schauen dich die Leute so komisch an, weil …«
    Der Junge packte Foster am Handgelenk. »Wenn Sie jetzt behaupten, das läge auch daran, dass ich einen Unfall hatte, fessle ich Sie an Ihren dämlichen Rollwagen und …«
    »Immer ruhig Blut«, erwiderte Foster und befreite seinen Arm. »Also, willst du es wirklich wissen?«
    »Natürlich.«
    »Also gut, ich verrate es dir.« Foster stand von seinem Stuhl auf. Er war so klein, dass er den Jungen kaum überragte. Als er sich dicht über ihn beugte, stieg ihm der Geruch von Äpfeln in die Nase. »Hier die Antworten auf deine Fragen, diesmal in umgekehrter Reihenfolge. Drittens: Die Leute werden in deiner Gegenwart nervös, weil sie glauben, dass du Selbstmord begehen wolltest. Zweitens: Du bist hier, weil du verschiedene Knochenbrüche und Verbrennungen und dazu noch jede Menge innere Verletzungen hast. Und erstens: Vor zwei Tagen bist du mit vollem Karacho und schnell wie der Blitz in der U-BahnStation Baker Street die Rolltreppe hinunter- und auf den Bahnsteig der Bakerloo Line in nördlicher Richtung gerannt, und zwar genau in dem Moment, als ein Zug in den Bahnhof einfuhr.«
    Der Junge schloss die Augen. »Und was geschah dann?«
    »Du hast dich vor die U-Bahn geworfen. Findest du das nicht ausgesprochen seltsam?« Fosters Lippen streiften beinahe sein Ohr. »Aber weißt du, was noch seltsamer ist?«
    »Was?«, murmelte der Junge mühsam, obwohl ihm plötzlich die Lippen taub wurden.
    »Dass du überlebt hast.«

Kapitel 2
    E in dunkelhäutiger Mann stand neben dem Bett. Seine Haut hatte die gleiche Farbe wie die Hände des Jungen. Kurz fragte er sich, ob dieser Mann vielleicht sein Vater war. Doch dann fiel es ihm wieder ein: Das dunkle Gesicht gehörte zu den vielen, die über seinem Bett geschwebt hatten, während er immer wieder ohnmächtig geworden war. Damals hatten die Augen des Mannes gütig gewirkt. Heute machten sie eher einen skeptischen Eindruck.
    »Also«, begann der Mann. »Wie fühlst du dich?«
    »Besser«, antwortete der Junge. »Nun, noch nicht total in Ordnung, aber das wäre ja auch unlogisch. Aber jedenfalls besser als vor ein paar Tagen.«
    Der
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