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Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)

Titel: Die Geheimnisse des Brückenorakels: Himmelsauge (German Edition)
Autoren: Melissa Fairchild
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Krankenhaus. Und zwar sofort!«

Kapitel 3
    E r saß kerzengerade im Bett. Avi, Avi, Avi, das bin ich, so lautet mein Name!, dachte er die ganze Zeit. Er schaltete den Fernseher leiser und sah sich im Krankenzimmer um. Niemand rührte sich. Das Schwesternzimmer lag verlassen da. Er war ganz allein.
    Bis auf den Mann auf dem Bildschirm.
    »Wer sind Sie?«, flüsterte er und fragte sich dabei, warum ihm das Gesicht des Mannes so vertraut erschien. Ein kräftiges, markantes Kinn. Eindringliche graue Augen. Kurzgeschorenes graues Haar.
    Die Lippen des Nachrichtensprechers bewegten sich, doch seine Stimme war zu leise, um etwas zu verstehen. Avi regulierte wieder die Lautstärke.
    »… weit genug weg. Kellen hat seine Augen überall. Du musst noch heute Nacht los.«
    »Moment mal«, wandte Avi ein. Er konnte nicht fassen, dass er sich tatsächlich mit einem Fernseher unterhielt. Doch als er zu sprechen anfing, neigte der Mann lauschend den Kopf. »Fangen Sie noch mal von vorne an.«
    »Es gibt keinen Anfang«, entgegnete der Nachrichtensprecher ungeduldig. »Nur Kellen.«
    »Und wer ist Kellen?«
    »Avi, wir haben keine Zeit für Spielchen. Die Zeit reicht nicht …«
    »Aber ich habe keine Ahnung, wovon Sie reden!«
    Der Sprecher klappte den Mund zu. »Offenbar wirklich nicht«, murmelte er, reckte den Hals und versuchte, aus dem Bildschirm herauszuspähen. »Anscheinend bist du nicht schwer verletzt.«
    »Eigentlich geht es mir gut – wenigstens körperlich. Ich wünschte, ich könnte das Gleiche von meinem Gedächtnis behaupten.«
    »Gedächtnisschwund?«
    »Das können Sie laut sagen.«
    »Das macht die Dinge … kompliziert. An was erinnerst du dich noch?«
    »An nichts. Bevor Sie mich angesprochen haben, kannte ich nicht einmal meinen Namen.«
    Der Nachrichtensprecher lehnte sich schwer an seinen Schreibtisch. »Das wird schwieriger, als ich gedacht habe.«
    »Warum?« Avi war aufgeregt. »Wer ist denn dieser Kellen, den Sie ständig erwähnen? Und wer sind Sie? Könnte mir mal jemand verraten, was hier gespielt wird?«
    Eine Krankenschwester näherte sich Avis Bett – nicht die Pummelige, sondern die Unnahbare.
    »Da kommt jemand«, zischte Avi.
    »Kellen?«
    »Lassen Sie mich mit diesem Typen in Ruhe. Eine Krankenschwester.«
    »Bitte sie um ein Glas Wasser.«
    »Was?«
    »Ein Glas Wasser. Ich werde dich abholen, Avi, aber ich befürchte, dass ich es nicht rechtzeitig schaffe. Du wirst dich allein durchschlagen müssen.«
    »Aber …«
    Im nächsten Moment stand die Schwester mit verschränkten Armen und finsterer Miene vor ihm und schaltete den Fernseher aus. »Du solltest jetzt schlafen, junger Mann.«
    »Tut mir leid«, erwiderte Avi. »Ich habe nur …«
    »Auf meiner Station«, sagte sie, »herrsche ich über die Fernbedienung. Und das heißt, kein Fernsehen nach zehn Uhr.« Sie sah ihn ärgerlich an und wollte gehen.
    »Könnte ich bitte ein Glas Wasser haben?«, fragte Avi.
    Mit einem missbilligenden Zungenschnalzen marschierte die Schwester den Mittelgang entlang und kehrte kurz darauf mit dem Wasser zurück. Avi trank einen Schluck und stellte das Glas dann auf den Nachttisch.
    Er ließ den Kopf aufs Kissen sinken, denn er fühlte sich schwer an, erfüllt von seltsamen Stimmen, merkwürdigen Namen und einem gedämpften Dröhnen. Es klang wie eine Springflut, die drohte, ihn in eine Bergschlucht hinabzureißen.
    Fünf Minuten später schlief er tief und fest.

    Er schreckte jäh hoch und rechnete damit, dass es hell sein würde. Doch das Krankenzimmer war dunkel und still, und nichts regte sich. Er konnte nicht einmal das Schnarchen der anderen Patienten oder das Brummen der Klimaanlage hören. Doch er roch etwas: ein Gestank, der ihn an Höhlen, Schnecken und stehende Gewässer denken ließ. Und warum war es plötzlich so kalt?
    Avi rieb sich die Augen und setzte sich auf.
    Ein Mann stand am Fußende seines Bettes. Er trug ein langes graues Gewand, das an der Taille von einer dicken Goldkette zusammengehalten wurde. Eiskristalle hingen an seinen Schultern, und während Avi hinstarrte, wurden es immer mehr. Die Temperatur im Krankenzimmer fiel rasch, und offenbar war der Besucher, der nicht von dieser Welt zu stammen schien, der Grund dafür.
    Der Mann hatte die Daumen in die Kette um seine Taille gehakt. Sein Gesicht lag im Schatten einer Kapuze, doch die Spitzen seiner Nase und seines Kinns ragten ins Dämmerlicht. Sein Scheitel berührte beinahe die Decke. Der Atem stand ihm wie eine Wolke vor
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