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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Autoren: Ayse
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mit diesem Buch tut, in dem sie mutig und offen ihre erschütternde Geschichte erzählt. Ein Zeugnis wie dieses zeigt den zwangsverheirateten und unterdrückten Frauen inmitten von Deutschland, dass sie nicht allein sind. Und dass sie das ihnen auferlegte Schicksal nicht um jeden Preis erdulden müssen. Dass es einen Ausweg gibt, und dass man, wie Ayşe , aus eigener Kraft aus dem Tal der Tränen herausfinden kann.
    Schließlich sind Bücher wie »Mich hat keiner gefragt« unerlässlich, um die deutsche Gesellschaft, die Politik, die Medien und die schützenden und helfenden Institutionen aufzurütteln und sie aufzufordern, ihr Schweigen zu beenden und nicht mehr zu tolerieren, dass in ihrer unmittelbaren Nachbarschaft und mitten unter ihnen die fundamentalsten Menschenrechte der moslemisch-türkischen Frauen verletzt werden.
     
    Liebe Leidensgenossinnen,
    suchen wir nach Wegen, die uns Frauen ein Leben aus eigener Macht erlauben, die unsere Töchter selbstbewusst in eine Welt hineinwachsen lassen, in der nicht länger traditionell patriarchalische Gesellschaftsstrukturen allein gültig und selbstverständlich sind. Wir müssen die Wehrlosigkeit, Manipulierbarkeit und Bereitwilligkeit, sich selbst zu verleugnen, abbauen. Wir müssen uns selbst finden, damit wir unsere Menschenwürde nicht mehr verleugnen. Wir müssen endlich von der Selbstentfremdung zur Selbstbestimmung kommen und völlig frei von inneren und äußeren Zwängen autonom handeln. Gemeinsam müssen wir nun Ansätze zur Verbesserung finden.
    Wir müssen unseren Charakterpanzer aufbrechen und zur Individualität finden.
    Wir müssen das verlorene Gleichgewicht unserer Persönlichkeit wieder finden, damit wir seelisch nicht veröden und versteinern. Die Frauen müssen bereit sein, Althergebrachtes hinter sich zu lassen. Auf eigenen Füßen stehen, mit beiden Augen sehen und Lust am Leben empfinden. Wir müssen den Aufbruch wagen. Mut zur Macht haben. An unseren eigenen Mut glauben und uns nicht davor fürchten. Denn die Befreiung unserer Töchter, liebe Frauen, ist an unsere Befreiung gebunden. Ich habe erst heute, als eine erwachsene Frau – bitter – gelernt, dass Unterwürfigkeit unter Vorschriften das Zeichen für eine versklavte Seele ist.
     
    Ich hatte einen Traum, den ich gerne mit euch teilen möchte:
    Der Glaube an die von Gott verliehene Herrschaft des Mannes bröckelte, und Frauen brachen scharenweise auf aus der Hilflosigkeit zum Widerstand.
     
    Serap Çileli
    15. April 2005
     

Ballidere
    Ballidere, der Ort, in dem ich geboren bin, ist ein kleines Dorf irgendwo mitten in den Bergen von Zentralanatolien. Unser Dorf ist klein. Siebzig, achtzig Häuser vielleicht, schmiegen sich in die sanften Hügel des Pontischen Gebirges. Viele kleine Bäche fließen ins Tal, und fruchtbare Felder und Äcker umgeben das Dorf. Die Bauern hier bauen Weizen, Roggen, Mais, aber vor allem Tabak an, der im heiß-feuchten Klima der nahen Schwarzmeerküste besonders gut gedeiht. Die Winter sind kalt, und der Wind pfeift über die Berge. Übersetzt heißt Ballidere übrigens Honigteich , aber hier ist nicht das Land, wo Milch und Honig fließen . Nein, in Ballidere wie in vielen anderen Dörfern meiner Heimat herrscht bitterste Armut. Ein bisschen Wohlstand ist nur bei jenen Leuten eingekehrt, deren Söhne und Töchter vor Jahren als Gastarbeiter nach Deutschland gegangen sind.
    Seit Jahrhunderten leben die Menschen unter härtesten Bedingungen. Sie bewohnen windschiefe, kleine Lehmhäuser, die, mit Holz und Steinen verstärkt, irgendwie stabil gemacht wurden. Ziegel- oder Betonbauweise kannte man lange Zeit gar nicht. Wie braune, kleine, quadratische Schachteln standen die Häuser früher an den holprigen Dorfstraßen. Unten, zur ebenen Erde, war der Stall, dort hausten ein paar Schafe und Ziegen, vielleicht noch ein Esel. Und oben, einen Stock höher, lebten die Menschen. Fünf, sechs, manchmal auch acht Personen teilten sich einen Raum. Hier wurde gekocht, gegessen und geschlafen, zu recht viel mehr hatten sie nach der harten Arbeit ohnehin keine Energie.
    Auch ich bin in so einem Haus geboren worden. Das war irgendwann im Frühjahr 1964. Mein genaues Geburtsdatumkenne ich nicht. Mein offizieller Geburtstag ist der 15. Januar, der stimmt aber nicht, sagt meine Mutter. Man habe damals einmal im Jahr die Kinder beim zuständigen Amt gemeldet, und da sie den genauen Termin vergessen hatte, hat sie eben den 15. 1. angegeben. Ich war das zweite Kind meiner Eltern.
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