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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Autoren: Ayse
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Brot verlangte, wusste meine Mutter, ›jetzt ist sie über dem Berg!. Mit meiner Tante Songül hat sie darüber nicht mehr gesprochen. Sie war einfach nur froh, dass ich überlebt hatte.
    Bei uns im Dorf gibt es einen Brauch: Wenn ein Kind schwer krank ist oder sich schlecht entwickelt, soll es Brot von sieben verschiedenen Familien essen. Die Zahl sieben ist wichtig, aber ich weiß bis heute nicht wieso. Das haben sie damals mit mir also auch gemacht. Nachdem ich die Krankheit einigermaßen überwunden hatte, aber noch ziemlich schwach war, kamen sieben Nachbarn und brachten mir Brot, das ich mit großem Appetit verspeist haben soll. Danach wurde ich vollständig gesund.
    Nur mit dem Laufen hatte ich es nicht eilig. Ich war inzwischen drei Jahre alt, aber verbrachte die meiste Zeit sitzend oder bewegte mich krabbelnd vorwärts. Erklären konnte sich das niemand. Eines Tages, es muss im März oder April gewesen sein, kam eine Tante zu Besuch. Ich saß wie üblich in einer Ecke des Raumes und spielte ruhig vor mich hin. Sie stand in der Nähe des Ofens und plauderte mit meiner Mutter, da nahm sie plötzlich das Schüreisen und warf es nach mir. Ich war wohl so entsetzt, als ich das Eisenteil in meine Richtung fliegen sah, dass ich kurzerhand aufsprang und aus dem Raum lief. Von da an war ich nur noch sehr selten zu Hause.
    Jetzt begann die glücklichste Zeit meiner Kindheit. Ich verbrachte die meiste Zeit draußen und spielte mit meinen Cousinsund Cousinen. Wir waren insgesamt zu fünft oder sechst im gleichen Alter und lebten in unmittelbarer Nachbarschaft. Vor allem meine Cousine Fidan und ich waren viel zusammen. Immer fanden wir etwas zu tun. Wir saßen auf der Wiese im Garten hinterm Haus, pflückten Blumen oder spielten mit den anderen Fangen oder Verstecken. Spielzeuge kannten wir nicht. Als wir größer wurden, haben wir uns Puppen gebastelt und ihnen aus alten Stoffen Kleider genäht. Die waren aus Holz und hatten wenig Ähnlichkeit mit den Puppen, die die Kinder hier kennen. Aber das war uns egal. Wir waren glücklich mit dem, was wir hatten. Am liebsten spielten wir Familie. Oft liefen wir die Hügel hinauf und nahmen »unsere Kinder« mit, schaukelten sie in unseren Armen und fütterten sie mit ein paar Stückchen Brot, das wir unseren Müttern stibitzt hatten. Später wollte ich mal zwei Kinder haben, mehr nicht. Anders meine Freundin Fidan, sie wollte immer einen ganzen Stall voller Kinder.
    Aber das Glück währte nicht lange. Als ich fünf, sechs Jahre alt war, wurde ich zum Arbeiten eingespannt. Meinem Vater war es ein Dorn im Auge gewesen, dass ich immer noch spielte und – in seinen Augen – unnütz in der Gegend herumlief. Ich sollte endlich im Haus und auf dem Feld mithelfen. Wozu hatte man schließlich Frauen im Haus? Dazu muss ich sagen, dass bei uns die Frauen einen Großteil der Arbeit erledigen. Gut, die Männer arbeiten schon auch, aber längst nicht so viel wie ihre Frauen. Meine Mutter zum Beispiel stand immer morgens um fünf auf. Während mein Vater noch schlief, versorgte sie schon das Vieh. Wir hatten damals ein paar Hühner, fünf oder sechs Ziegen und einen Esel. Wenn das erledigt war, heizte sie ein und kümmerte sich ums Frühstück. Anders im Sommer, da ging sie oft schon vor Sonnenaufgang aufs Feld und hatte schon zwei, drei Stunden gearbeitet, bevor sie das Frühstück richtete. Daneben musste sie natürlich die ganze Hausarbeit erledigen, Kochen, Waschen, Putzen. Ihr Tag war nie lang genug. Abends um neun oder zehn Uhr war sie schließlich fertig. Im Sommer hatte sie dann vielleicht noch ein bisschen Zeit, um mit den Nachbarinnenund Freundinnen zu plaudern. Aber das war auch nur möglich, wenn mein Vater nicht da war, denn Müßiggang duldete er nicht.
     
    Die Ehe meiner Eltern war von Anfang an schwierig gewesen. Mein Vater war immer schon sehr aufbrausend, geriet schnell in Wut und schlug meine Mutter vom ersten Tag an. Nein, sie war nicht in ihn verliebt gewesen, und ausgesucht hatte sie ihn sich auch nicht. Es waren Mehmets Eltern, die angefragt hatten. Und sie, Kezban, war eine folgsame Tochter, fügte sich in ihr Schicksal und heiratete den ungeliebten Mann. Das war bei uns so üblich, und ist es heute noch. Romantik und Liebe haben im harten Leben von Zentralanatolien keinen Platz. Hier gelten ganz andere Gesetze. Die Eltern suchen die Braut bzw. den Bräutigam aus und achten sehr darauf, dass die Auserwählten in die Familie passen. Nicht selten stammt er oder sie
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