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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Autoren: Ayse
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Ehe mit seiner zweiten Frau schloss er dann wohl eher aus Vernunft.
    Aber die neue Frau im Haus brachte kein Glück. Die Kinder aus erster Ehe lehnte sie ab und kümmerte sich kaum um sie. Schon als kleiner Junge wurde mein Vater zur Arbeit eingespannt. Tagsüber hütete er die Schafe und Ziegen in den Bergen, waren die abends im Stall untergebracht und versorgt, gab’s für ihn oft nicht mal ein warmes Essen. Er und der jüngere Bruder schliefen dann im Stall, weil die Haustür bereits verschlossen war.
    Die Stiefmutter indes lebte in Saus und Braus. Nach und nach hatte sie sieben Kinder zur Welt gebracht. Die zwei Jungen und fünf Mädchen waren immer gut genährt und gekleidet. Allesamt sind sie zur Schule gegangen, was in der damaligen Zeit ungewöhnlich war. Ja, die beiden Söhne und eine Tochter haben sogarstudiert. Der eine Sohn wurde Hoca , das ist ein Vorbeter, ein religiöser Gelehrter, der andere Sohn und die Tochter sind Lehrer. Aber ich glaube, das Mädchen, meine Tante, hat nie richtig gearbeitet, sondern ihre Kinder großgezogen. Ausbildung und Studium kosteten natürlich Geld, zumal die Kinder dazu in die Stadt mussten. Also hatte sie nach und nach Land verkauft, und zwar so lange, bis das Vermögen meines Großvaters auf ein Minimum zusammengeschrumpft war. Was er dazu gesagt hat, weiß ich nicht, aber Fakt ist, dass mein Vater und seine beiden Brüder nichts von dem einstmaligen Reichtum gesehen, geschweige denn etwas abbekommen haben. Im Gegenteil, sie lebten in bitterster Armut.
    Damals also nahm das Unglück meines Vaters seinen Lauf. Die Frau, die er haben wollte, konnte er nicht bekommen, weil er arm war. Und die, die er nicht haben wollte, musste er nehmen, gerade weil sie arm war. So war sie, Kezban, die zweite Wahl von Mehmet, meinem Vater, und sollte es ein Leben lang bleiben. Bei der Hochzeit war sie 16 Jahre alt. Sie entstammte einer Müllersfamilie und hatte noch einen Bruder. Ihre Eltern müssen wohl froh gewesen sein, denn es ist schwierig für arme Leute, ihre Kinder zu verheiraten. Natürlich hatte meine anne von einer glücklichen Ehe geträumt. Ihre Eltern waren ja auch miteinander glücklich gewesen. Aber das sollte ein Wunschtraum bleiben.
     
    Wir Kinder waren ihr einziges Glück. Aber je größer wir wurden, umso trister wurde auch unser Leben – vor allem für meinen Bruder Bekir und mich. Ab dem Alter von fünf oder sechs Jahren waren wir bei der Arbeit fest eingeplant – besonders im Sommer und zur Erntezeit. Morgens um sieben, spätestens um acht mussten wir raus, mit aufs Feld. Lockerer war es eigentlich nur in den Wintermonaten, da gab es draußen nichts zu tun, und ich musste nur im Haus mithelfen. Aber ab Februar, wenn die ersten Sonnenstrahlen den Schnee geschmolzen hatten und der fest gefrorene Boden langsam auftaute, waren wir gefordert. Zuerst musste auf den Feldern das Gestrüpp weggeräumt werden, dannsammelten wir die Steine auf. Hätte man uns Zeit gelassen, wäre das vielleicht ein Spaß gewesen. War es aber nicht. Denn unser Vater kontrollierte uns ständig, und wenn wir zu langsam waren oder zu viele Steine übersehen hatten, gab’s Ärger. Und wie immer fackelte er nicht lange – schrie, holte aus und schlug zu. Oft hatten wir blaue Flecke an Armen oder Beinen, oder das Gesicht war geschwollen. Nachdem wir die Felder gesäubert hatten, fingen meine Eltern und abi, mein großer Bruder, an umzugraben. Das war Schwerstarbeit, weil der Boden, wie gesagt, noch fast gefroren war.
    Der Tabak hat uns fast das ganze Jahr über beschäftigt. Im Februar wurde ausgesät. Nach sechs, acht Wochen waren die Pflänzchen bereits zehn, fünfzehn Zentimeter hoch, und man konnte sie auf die eigentlichen Tabakfelder ausbringen. Mein Vater hatte damals viele Felder gepachtet, die meisten lagen eine halbe Stunde und mehr vom Dorf entfernt. Das war besonders für uns Kinder hart, weil wir noch klein waren und für die Strecke, die ein Erwachsener in dreißig Minuten zurücklegte, ungefähr doppelt so lange brauchten. Das wollte mein Vater natürlich nicht einsehen. Er erwartete von uns immer ähnliche Leistung wie von den Erwachsenen. Wenn meine Mutter es wagte, uns in Schutz zu nehmen, gab es wieder Ärger.
    Waren die Tabakpflänzchen erst mal auf den Feldern, mussten sie gehegt und gepflegt werden. Das war dann unsere Arbeit. Wir mussten darauf achten, dass genügend Abstand zwischen den Pflanzen war, und regelmäßig das Unkraut auszupfen. Für die Bewässerung sorgte mein
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