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Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt

Titel: Mich hat keiner gefragt - Mich hat keiner gefragt
Autoren: Ayse
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ohnehin aus der näheren oder entfernteren Verwandtschaft. Die so genannte Verwandten- Ehe wird immer noch praktiziert und hat bis heute einen einfachen Grund: Besitz und Geld sollen in der Familie bleiben.
    Freilich kommt es immer mal wieder vor, dass sich »Fremde« ineinander verlieben und die Eltern gegen die Verbindung sind. Die Mädchen werden dann kurzerhand entführt, oder sie hauen von zu Hause ab. Songül, die Freundin meiner Mutter, zum Beispiel. Sie stammte aus dem Nachbardorf und hatte sich unsterblich in einen meiner Onkel verliebt. Auch er war Feuer und Flamme, aber die Eltern waren gegen die Verbindung. Doch sie wollte ihn unbedingt haben und war zu allem bereit. Also hat der Onkel sie eines Nachts entführt, und mein Vater und meine anne haben ihm dabei geholfen.
    Das war dann so. Denn hatte die junge Frau erst mal im Haus des »Auserwählten« Unterschlupf gefunden, konnten die Eltern nichts mehr machen. Danach wurde Hochzeit gefeiert, ob es der Familie passte oder nicht. So war es auch bei Songül und meinem Onkel Ahmed. Meine Mutter hatte damals eine unangenehme Rolle. Sie musste nach der Hochzeitsnacht das Leintuchdes Brautpaares abholen. War es blutbefleckt, war alles in Ordnung. Aber wenn nicht, dann hatte die junge Frau ein großes Problem. Den Beweis für die Unschuld der Braut forderte normalerweise die Schwiegermutter ein. Das war in dem Fall nicht möglich, denn die war schon lange tot, und die Stiefschwiegermutter wollte nicht. Also musste die Schwägerin ran. Meine Mutter tat, was von ihr verlangt wurde, aber es war ihr unangenehm. Obwohl alles in Ordnung, und das gewünschte Blut vorhanden war, glaube ich, hatte sie das Gefühl, der Braut zu nahe zu treten. Vielleicht lag auch hier der Schlüssel für den späteren Hass. Der, so jedenfalls behauptet meine Mutter bis zum heutigen Tag, immer von Songül ausging.
    Aber zurück zu meinen Eltern. Als die damals Anfang der sechziger Jahre geheiratet hatten, waren sie sehr arm. Sie wohnten noch einige Zeit im Haus meines Großvaters, was für beide sehr belastend gewesen sein muss. Die Stiefmutter ließ sich bei jeder Gelegenheit anmerken, dass das Paar unerwünscht war. So hat mein Vater alles daran gesetzt, in die eigenen vier Wände zu ziehen. Aber ein Haus zu bauen, das war damals extrem schwierig, weil es wenig Möglichkeiten gab, Geld zu verdienen. Arbeit wurde oft mit Naturalien entlohnt. Etwa für die Bewachung des Dorfes. Das ganze Jahr über mussten jeweils zwei Männer gemeinsam Wache schieben, vom Einbruch der Dunkelheit bis zum Morgengrauen. Ich glaube, sie sollten die Frauen und Kinder vor wilden Tieren beschützen, aber so genau weiß ich das nicht. Den Lohn für diese Arbeit gab es immer zum Jahreswechsel. Jede Familie erhielt sechs oder sieben Sack Getreide. So auch mein Vater, aber die Hälfte davon musste er seinem Vater und der verhassten Stiefmutter abgeben. Wahrscheinlich haben sie das als Miete verlangt.
    Die beiden, aber vor allem meine Mutter, schufteten also Tag und Nacht, um Geld auf die Seite zu legen. Aber Geld verdienen konnte man eigentlich nur mit dem Tabakanbau. Das war langwierig und mühsam und brachte erst im Winter das so bitter benötigte Bargeld. Aber auch hiervon mussten sie immer einen Teilan die Eltern abgeben. So dauerte es einige Jahre, bis sie in die eigenen vier Wände ziehen konnten. Kurz vor meiner Geburt war es dann so weit. Danach hätte es eigentlich leichter werden müssen. Wurde es aber nicht. Mein Vater war nach wie vor sehr tyrannisch. Regelmäßig verprügelte er meine Mutter und ließ an uns von klein auf seine Wut aus. Ich habe lange nicht gewusst oder auch nur geahnt, warum das so war. Erst vor kurzem habe ich den wahren Grund erfahren.
    Mein Vater hatte eine andere Frau geliebt. Die und keine andere hatte er haben wollen. Aber ihre Eltern waren gegen diese Verbindung gewesen, obwohl die junge Frau seine Liebe erwiderte. Der Grund: Mein Vater war zu arm. Das war tragisch, denn seine Familie war vor langer Zeit sehr reich und mein Großvater ein angesehener Mann gewesen. Doch das war vor dem Tod seiner ersten Frau, der Mutter meines Vaters. Die war im Kindbett gestorben, und auch die neugeborenen Zwillinge hatten nicht überlebt. Mein Großvater war darüber fast verrückt geworden. Kurz nach der Tragödie soll er nachts oft aus dem Haus gestürmt und auf den Friedhof gelaufen sein. Dort habe er sich dann auf das frische Grab von Frau und Kindern geworfen und verzweifelt geweint. Die
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