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Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034
Autoren: Dmitry Glukhovsky
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unterschlagen, da ihm das ein wenig peinlich war.
    Der Brigadier entbot den Wachleuten einen kurzen militärischen Gruß. Diese machten ihm Platz, und er betrat das Büro des Stationsvorstehers ohne anzuklopfen. Istomin und der Oberst erhoben sich überrascht von ihren Stühlen und gingen ihm entgegen. Beide sahen irgendwie zerzaust, müde und verloren aus.
    Während Homer schüchtern am Eingang stehenblieb und von einem Bein aufs andere trat, zog der Brigadier den Helm vom Kopf, legte ihn mitten auf Istomins Papiere und fuhr sich mit der Hand über den glattrasierten Schädel. Im Licht der Lampe war erneut zu sehen, wie furchtbar entstellt sein Gesicht war: Die linke Wange war zusammengezogen wie nach einer Brandverletzung, das Auge darüber war nur noch ein enger Spalt, und eine riesige violette Narbe kroch in Windungen vom Mundwinkel bis zum Ohr.
    Obwohl Homer diesen Anblick schon zu kennen glaubte, lief es ihm erneut eiskalt über den Rücken, als sähe er es zum ersten Mal. »Ich gehe selbst zum Ring«, stieß der Brigadier hervor. Er hatte nicht mal gegrüßt. Es folgte tiefes Schweigen. Homer wusste bereits, dass dieser Mann ein außergewöhnlicher Kämpfer war und daher bei der
    Stationsleitung in besonderem Ansehen stand. Doch erst jetzt begann er zu begreifen, dass der Brigadier im Unterschied zu allen anderen Sewastopolern überhaupt keinem Befehl unterstand. Er erwartete offenbar keinerlei Genehmigung von den beiden alten und erschöpften Herren, im Gegenteil: Eher schien er ihnen einen Befehl erteilt zu haben, den sie auszuführen hatten. Und wieder - zum wievielten Mal? - fragte sich Homer: Wer war dieser Mann? Der Kommandeur der Außenposten warf dem Stationsvorsteher einen Blick zu. Sein Gesicht verfinsterte sich, als wolle er Einspruch erheben, doch dann winkte er ab. »Wie du willst, Hunter«, sagte er. »Dir kann man sowieso nichts ausreden.«
2 - RÜCKKEHR
    Homer horchte auf. Hunter. Diesen Namen hatte er an der Sewastopolskaja noch nie gehört. Es klang wie ein Spitzname - wie sein eigener, denn natürlich hieß er nicht Homer, sondern Nikolai Iwanowitsch. Nach dem Schöpfer der griechischen Heldenepen hatte man ihn erst hier, an dieser Station benannt, denn er liebte Geschichten und Gerüchte aller Art.
    »Euer neuer Brigadier«, hatte der Oberst den Wachleuten im Südtunnel zwei Monate zuvor erklärt. Sie musterten den breitschultrigen Mann mit dem Kevlaranzug und dem schweren Helm mit einem Gemisch aus Misstrauen und Neugier. Der wiederum wandte sich gleichgültig von ihnen ab; der Tunnel und die Befestigungsanlagen interessierten ihn offenbar weit mehr als die ihm anvertrauten Leute. Denjenigen, die zu ihm kamen, um sich vorzustellen, drückte er die Hand, jedoch ohne ein Wort zu sagen. Schweigend nickte er, prägte sich ihre Namen ein und paffte ihnen blauen Papirossa-Dunst ins Gesicht, als wolle er sie auf Abstand halten. Im Schatten seines hochgeklappten Visiers schimmerte trübe das von der tiefen Scharte entstellte, leblose Auge. Weder damals noch später wagten die Wachleute nach seinem Namen zu fragen, und so blieb er für sie einfach nur »der Brigadier«. Offenbar hatte die Station einen jener teuren Söldner angeheuert, die keinen eigenen Namen benötigten.
    Hunter.
    Während Homer unschlüssig am Eingang von Istomins Büro stand, formte er dieses seltsame Wort lautlos mit den Lippen. Es passte nicht zu einem Menschen - eher zu einem mittelasiatischen Schäferhund. Er konnte ein Lächeln nicht unterdrücken: Tatsächlich, früher hatte es einmal solche Hunde gegeben. Wie kam das alles bloß in seinen Kopf? Eine kämpferische Rasse, mit gestutztem Schwanz und direkt am Schädel kupierten Ohren - nichts Überflüssiges.
    Doch je öfter er sich den Namen vorsagte, desto bekannter erschien er ihm. Wo hatte er ihn schon einmal gehört? Vermutlich war er irgendwann einmal in jenem unendlichen Strom aus Legenden und Geschwätz an ihm hängengeblieben und bis auf den Grund seines Gedächtnisses gesunken.
    In der Zwischenzeit hatte sich darüber eine dicke Schlammschicht aus Namen, Fakten, Gerüchten und Zahlen gebildet - all diese unnützen Daten über das Leben anderer Menschen, denen Homer so begierig lauschte und die er sich so gewissenhaft zu merken versuchte.
    Hunter . Ein Schwerverbrecher, auf dessen Kopf die Hanse eine Belohnung ausgesetzt hatte? Homer warf einen Stein in den trüben Teich seines Gedächtnisses und lauschte. Nein. Ein Stalker? Passte nicht zu seinem Äußeren. Ein
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