Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Metro 2034

Metro 2034

Titel: Metro 2034
Autoren: Dmitry Glukhovsky
Vom Netzwerk:
hatte es in der Eile liegen gelassen. Der Stationsvorsteher zog eine Grimasse und begann erneut, diesmal halblaut, mit dem jetzt abwesenden Kommandeur zu streiten. Es ging noch immer um das gleiche Thema - doch nun brachte er neue Argumente vor, die ihm zuvor im Eifer des Gefechts nicht eingefallen waren.
    An der Sewastopolskaja kursierte so mancher düstere Witz darüber, warum die benachbarte Station ausgerechnet Tschertanowskaja hieß; zu deutlich ließ sich aus ihrem Namen das Wort »Tschort« - Teufel - herauslesen. Die Mühlen des Wasserkraftwerks erstreckten sich ziemlich weit in ihre Richtung, doch obwohl sie als verlassen galt, dachte niemand auch nur im Entferntesten daran, sie einfach zu besetzen und zu erschließen - wie sie es zuvor mit der Kachowskaja getan hatten. Die technischen Teams, die unter Begleitschutz die äußersten Generatoren montiert hatten und nun von Zeit zu Zeit warten mussten, sahen sich vor, der Tschertanowskaja höchstens auf hundert Meter nahe zu kommen. Fast jeder, dem eine solche Expedition bevorstand und der kein fanatischer Atheist war, bekreuzigte sich heimlich, und manche nahmen sogar für alle Fälle von ihren Familien Abschied.
    Die Tschertanowskaja war eine üble Station, das spürte jeder, der sich ihr auch nur auf einen halben Kilometer näherte. In ihrer Naivität hatten die Sewastopoler in der Anfangszeit schwer bewaffnete Stoßtrupps losgeschickt, um ihren Einflussbereich zu erweitern. Zurück kamen diese, wenn überhaupt, schwer angeschlagen und mindestens um die Hälfte dezimiert. Dann saßen die gestandenen Haudegen am Feuer, stotternd und sabbernd, und obwohl man sie so nah hingesetzt hatte, dass ihre Kleidung zu schmoren begann, zitterten sie in einem fort. Nur mit Mühe erinnerten sie sich daran, was sie erlebt hatten - und nie glich ein Bericht dem anderen.
    Es hieß, dass irgendwo jenseits der Tschertanowskaja Seitenzweige des Haupttunnels tief hinabtauchten und sich zu einem enormen Labyrinth natürlicher Höhlen vernetzten, in dem es angeblich von Ungeheuern nur so wimmelte.
    Dieser Ort wurde an der Sewastopolskaja »das Tor« genannt -ein willkürlicher Begriff, denn niemand der lebenden Bewohner hatte diesen Teil der Metro je betreten. Allerdings erzählte man sich eine Geschichte aus der Zeit, als die Linie noch nicht erschlossen war. Eine große Aufklärungseinheit war damals angeblich bis hinter die Tschertanowskaja gekommen und hatte das »Tor« entdeckt. Über einen Sender -eine Art Kabeltelefon -hatte der Funker mitgeteilt, sie stünden am Eingang eines schmalen Korridors, der fast senkrecht hinabführte. Weiter kam er nicht. In den folgenden Minuten vernahmen die Chefs der Sewastopolskaja gellende Schreie voller Entsetzen und Schmerz. Seltsamerweise versuchten die Aufklärer nicht zu schießen, vielleicht begriffen sie, dass gewöhnliche Waffen sie nicht schützen würden. Als Letzter verstummte der Kommandeur der Gruppe, ein gewissenloser Söldner von der Station Kitaigorod, der seinen Gegnern, nachdem er sie besiegt hatte, stets den kleinen Finger abschnitt. Er schien sich in einiger Entfernung von dem Mikrofon zu befinden, das dem Funker entglitten war, denn seine Worte waren schlecht zu verstehen. Doch bei genauerem Hinhören verstand der Stationsvorsteher, was der Mann im Todeskampf vor sich hinschluchzte: ein Gebet. Eines dieser einfachen, naiven Gebete, die kleine Kinder von ihren gläubigen Eltern lernen.
    Dann brach die Leitung ab. Nach diesem Vorfall wurden alle weiteren Versuche, bis zur Tschertanowskaja vorzudringen, eingestellt. Ja, es hatte sogar Pläne gegeben, auch die Sewastopolskaja aufzugeben und sich bis zur Hanse zurückzuziehen. Doch die verfluchte Station schien jener Grenzposten zu sein, der das Ende der menschlichen Herrschaft in der Metro markierte. Die Kreaturen, die diese Grenze bedrängten, machten den Bewohnern der Sewastopolskaja eine Menge Ärger, aber sie waren nicht unverwundbar, und bei einer gut organisierten Verteidigung ließen sich diese Angriffe relativ leicht und fast ohne eigene Verluste zurückschlagen - solange die Munition ausreichte. Einige dieser Monster ließen sich zwar nur mit Explosivgeschossen oder Hochspannungsfallen aufhalten. Doch in den meisten Fällen hatten es die Wachen mit nicht ganz so furchteinflößenden - wenn auch extrem gefährlichen - Wesen zu tun.
    »Da, noch einer! Oben, im dritten Rohr!«
    Der obere Scheinwerfer war aus seiner Halterung gebrochen, baumelte zuckend wie ein Gehenkter
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher