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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben
Autoren: Thomas A. Barron
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der Dichter seine verschmutzteweiße Tunika zurecht. »Elen«, murmelte er. »Ich hätte mir denken können, dass du rechtzeitig zurückkommst, um mich zu verbessern.«
    Ihre Augen schienen zu lächeln. »Jemand muss das hin und wieder tun.«
    »Unmöglich.« Cairpré gab sich alle Mühe, grimmig auszusehen, doch er konnte ein flüchtiges Lächeln nicht verbergen. »Außerdem
     ist es keine Harfe, die der Junge gebaut hat. Es ist ein Psalter, allerdings ein kleiner, nach dem griechischen
psaltérion
. Hat dir nie jemand etwas über die Griechen beigebracht, junge Frau?«
    »Doch.« Meine Mutter unterdrückte ein erneutes Lachen. »Du.«
    »Dann hast du nicht die geringste Entschuldigung.«
    »Hier«, sagte sie zu mir und schüttete ein paar dicke purpurrote Beeren in die Wurzelhöhlung, in der meine Werkzeuge lagen.
     »Flusstangbeeren, von dem Bächlein drüben am Weg. Ich habe dir eine Hand voll mitgebracht.« Mit einem Seitenblick auf Cairpré
     warf sie ihm eine einzige Beere zu. »Und eine für dich, damit du mir einen Vortrag über griechische Musik hältst.«
    »Falls ich Zeit habe«, brummte der Dichter.
    Neugierig hörte ich zu, wie sie sich neckten. Aus irgendeinem Grund nahmen ihre Gespräche neuerdings häufig eine solche Wendung.
     Und das verwirrte mich, weil es dabei offenbar nicht auf ihre Worte ankam. Nein, bei ihrem Geplänkel ging es eigentlich um
     etwas anderes, aber ich wusste nicht genau, um was.
    Während ich sie beobachtete, steckte ich ein paar Beeren in den Mund und genoss den würzigen Geschmack. Da redeten sie, als
     würde Cairpré glauben, er wisse alles,mehr vielleicht als selbst der große Geist Dagda. Doch bestimmt war meiner Mutter klar, dass er nie vergaß, wie wenig er in
     Wirklichkeit wusste. So viel er mir im vergangenen Jahr auch über die Geheimnisse der Magie beigebracht hatte, nie begann
     er seine Unterweisungen ohne mich auf seine Grenzen hinzuweisen. Er hatte sogar zugegeben, dass er zwar wusste, dass ich beim
     Bau meines ersten Instruments eine komplizierte Reihenfolge einhalten musste, dass er aber keineswegs sicher war, was die
     einzelnen Schritte bedeuteten. Während der ganzen Arbeit – von der Wahl des richtigen Instruments über das Holzschneiden bis
     zum Feuern des Trockenofens – hätte er genauso gut mein Mitschüler wie mein Mentor sein können.
    Plötzlich stach mich etwas im Nacken. Ich schrie auf und versuchte das Insekt zu verscheuchen, das an mir genascht hatte.
     Doch der Missetäter war schon geflohen.
    Die blauen Augen meiner Mutter schauten auf mich herunter. »Was ist los?«
    Während ich mir immer noch den Nacken rieb, stand ich auf und trat aus den knorrigen Wurzeln heraus. Dabei stolperte ich fast
     über mein Schwert und die Scheide im Gras. »Ich weiß nicht. Etwas hat mich gebissen, glaube ich.«
    Sie hob fragend den Kopf. »Für Stechmücken ist es zu spät. Der erste Frost war schon vor Wochen.«
    »Das erinnert mich«, Cairpré blinzelte ihr zu, »an ein altes abessinisches Gedicht über Fliegen.«
    Sie fing an zu lachen und wieder stach mich etwas im Nacken. Ich fuhr herum und sah gerade noch, wie eine kleine rote Beere
     über das Gras der Kuppe hüpfte. Ichkniff die Augen zusammen. »Jetzt habe ich die Stechmücke entdeckt.«
    »Wirklich?«, fragte meine Mutter. »Wo?«
    Ich fuhr herum und schaute die alte Eberesche an. Mit erhobenem Arm deutete ich in die Zweige über uns. Dort, fast unsichtbar
     zwischen den Vorhängen aus grünen und braunen Blättern, kauerte eine Gestalt in einem Anzug aus gewobenen Ranken.
    »Rhia«, knurrte ich. »Warum kannst du nicht einfach Guten Tag sagen wie andere Leute?«
    Die Gestalt rührte sich und streckte die Arme. »Weil es so viel mehr Spaß macht.« Als sie meine Grimasse sah, fügte sie hinzu:
     »Brüder sind manchmal so humorlos.« Dann rutschte sie geschmeidig wie eine Schlange, die über einen Zweig gleitet, den verdrehten
     Stamm hinunter und sprang zu uns herüber.
    Elen beobachtete sie belustigt. »Wirklich, du bist ganz und gar ein Baummädchen.«
    Rhia strahlte. Sie sah die Beeren im Loch und nahm fast alle, die noch da waren. »
Mmm
, Flusstang. Allerdings ein bisschen bitter.« Dann wandte sie sich mir zu und zeigte auf das kleine Instrument in meiner Hand.
     »Wann spielst du uns etwas vor?«
    »Wenn ich so weit bin. Du hast Glück, dass ich dich aus eigener Kraft vom Baum klettern ließ.«
    Überrascht schüttelte sie die braunen Locken. »Meinst du wirklich, dass ich glaube, du
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