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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben
Autoren: Thomas A. Barron
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stieg.
     
    Die Klaue schob sich höher und klopfte so vorsichtig an den Rand der steinähnlichen Schale wie jemand, der aufs Eis schlägt,
     bevor er den Fuß auf einen gefrorenen Teich setzt. Schließlich grub sich die messerscharfe Krallenspitze in die Oberfläche
     und jagte Risse in alle Richtungen. Ein unterdrückter Laut, halb Schrei und halb Stöhnen, kam tief aus dem Inneren. Dann riss
     die Klaue plötzlich einen großen Teil der Schale weg.
    Das riesige Ei schaukelte wieder und rollte weiter das Flussufer hinunter. Als es in das rauschende Wasser klatschte, fielen
     weitere Schalenstücke ab. Obwohl die Morgensonne schon durch den Nebel schien, ließ ihr Lichtdas orange Glühen, das aus dem klaffenden Loch strahlte, nicht erblassen.
    Weitere Sprünge schlängelten sich an den Seiten entlang. Die Klaue, wie ein scharfer Haken gebogen, schlug auf den Rand des
     Lochs und spritzte Schalensplitter in den Fluss und auf das schlammige Ufer. Unter Stöhnen schob das Geschöpf in der Schale
     die Klaue ganz aus dem Loch und zeigte einen verdrehten dünnen Arm, der mit purpurrot schillernden Schuppen bedeckt war. Als
     Nächstes kam eine hochgezogene knochige Schulter, von der lavendelfarbener Schleim tropfte. An der Schulter hing schlaff eine
     zerknitterte ledrige Hautfalte, die ein Flügel sein konnte.
    Dann blieben Arm und Schulter aus irgendeinem Grund ruhig. Mehrere Sekunden lang kam kein Laut aus dem Ei, es schaukelte auch
     nicht mehr.
    Plötzlich flog die ganze obere Hälfte der Schale weg und landete mit einem Platsch im Wasser. Orange Lichtstrahlen bohrten
     sich in den aufreißenden Nebel. Unbeholfen, zögernd hob sich die schuppige Schulter, sie stützte einen dünnen purpurroten
     Hals mit scharlachroten Flecken. Vom Hals hing schwer ein Kopf – zweimal so groß wie der eines ausgewachsenen Pferds   –, der sich langsam aufrichtete. Über dem massigen Kinn und dem Maul mit vielen Reihen glänzender Zähne zuckten zwei enorme
     Nüstern und schnupperten zum ersten Mal Luft.
    Aus den beiden dreieckigen Augen des Geschöpfs drang das orange Licht wie glühende Lava. Die Augen blinzelten alle paar Sekunden
     und spähten durch den Nebel zu den anderen Eiern hinüber, die ebenfalls aufgesprungen waren. Das Geschöpf hob eine Klaue und
     versuchte sich ander leuchtend gelben Beule mitten auf der Stirn zu kratzen. Aber die Klaue verfehlte ihr Ziel und stieß stattdessen in die
     weiche, runzlige Haut der Nase.
    Laut wimmernd schüttelte das Wesen so heftig den Kopf, dass die blauen, fahnenähnlichen Ohren flatterten. Als das Schütteln
     aufhörte, legte sich das rechte Ohr nicht mehr flach. Im Gegensatz zum linken, das bis fast auf die Schulter hing, streckte
     es sich zur Seite wie ein falsch angebrachtes Horn. Nur die leichte Krümmung an der Spitze verriet, dass es tatsächlich ein
     Ohr war.
     
    Tief in der rauchigen Höhle bewegte sich unruhig die gewaltige Gestalt. Valdeargs Kopf, fast so breit wie ein Hügel, ruckte
     plötzlich und zermalmte einen Haufen Schädel, die vor langer Zeit von Flammen geschwärzt worden waren. Der Atem des Drachen
     kam immer schneller und rauschte wie tausend Wasserfälle. Obwohl die riesigen Augen geschlossen blieben, schlugen die Klauen
     erbarmungslos auf einen unsichtbaren Gegner ein.
    Der Drachenschwanz holte aus und knallte gegen die verkohlte Steinwand. Der Drache knurrte, nicht so sehr über die Steine,
     die auf seine grünen und orangen Rückenschuppen fielen, als über die Qualen seines Traums – eines Traums, der ihn an den Rand
     des Erwachens trieb. Einer seiner ausladenden Flügel hieb durch die Luft, und als er mit dem Rand den Höhlenboden streifte,
     flogen Dutzende edelsteinbesetzter Schwerter und Harnische, vergoldete Harfen und Trompeten, Juwelen und Perlen in alle Richtungen.
     Rauchwolken verdunkelten den Tag.
     
    Die Augen des Geschöpfs im Ei funkelten wütend, seine Nase schmerzte immer noch. Ein uralter Instinkt ließ es so tief Atem
     holen, dass ihm die purpurrote Brust schwoll. Mit jähem Schnauben atmete es aus und blähte dabei die Nüstern. Doch keine Flammen
     kamen, noch nicht einmal ein dünnes Rauchwölkchen. Denn obwohl das Wesen tatsächlich ein Drachenbaby war, konnte es noch nicht
     Feuer speien.
    Wieder wimmerte das Drachenbaby niedergeschlagen. Es hob ein Bein, um endgültig aus der Schale zu klettern, dann hielt es
     abrupt inne, legte den Kopf zur Seite und lauschte. Ein Ohr hing schlaff wie eine blaue Fahne, das andere
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