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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben
Autoren: Thomas A. Barron
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ragte zum Himmel,
     während es aufmerksam horchte und nicht wagte, sich zu regen.
    Plötzlich zog sich das Kleine ängstlich und zitternd in den Schalenrest zurück. Es hatte gerade den dunklen Schatten bemerkt,
     der sich im Nebel am anderen Flussufer bildete. Es ahnte Gefahr und verkroch sich tiefer in seinem Gehäuse. Das störrische
     Ohr ragte über den Rand hinaus.
    Nach einigen Sekunden hob das kleine Geschöpf ein wenig den Kopf. Das Herz hämmerte ihm in der Brust. Es sah, wie der Schatten
     langsam näher kam, durch das brodelnde Wasser watete und sich dabei zu einer seltsamen zweibeinigen Gestalt verdichtete –
     mit einer gebogenen Klinge in der Hand, die drohend blinkte. Erschrocken fuhr das Drachenbaby zusammen, als es merkte, dass
     sich die Klinge hob, um zuzuschlagen.

TEIL EINS
    I
DIE LETZTE SAITE
    J etzt noch eine.«
    Selbst während ich es sagte, konnte ich es kaum glauben. Ich fuhr mit der Hand über die schuppige graubraune Rinde der Eberesche,
     deren dicke Wurzeln mich umgaben, und spürte die leichten Erhebungen und Rundungen des lebendigen Holzes. In einer Höhlung,
     so tief wie eine Schüssel, lagen einige der Werkzeuge, die ich in den letzten Monaten benutzt hatte: ein Steinhammer, ein
     Eisenkeil, drei Feilstäbe mit verschiedenen Strukturen und ein Schnitzmesser, nicht größer als mein kleiner Finger. Ich griff
     dahinter, an der knotigen Wurzel vorbei, an der ich meine größeren Sägen aufhängte, zu dem schmalen Rindenbord, auf dem bis
     vor kurzem alle acht Saiten gelegen hatten.
    Acht Saiten. Jede unter dem Herbstvollmond nach alter Tradition vorbereitet, gespannt und schließlich besungen. Ich war meinem
     Mentor Cairpré dankbar, dass er mir in den Wochen vor diesem Abend geholfen hatte all die komplizierten Verse und Melodien
     zu lernen. Aber trotz seines Beistands war der Mond fast verschwunden, bis ich endlich alles richtig sang – und in der richtigen
     Reihenfolge. Jetzt glänzten sieben Saiten an dem kleinen Instrument, das an der Wurzel vor mir lehnte.
    Ich griff nach der letzten Saite, der kleinsten von allen. Während ich sie langsam drehte, wirbelten und schwanktendie Enden – fast als wäre sie lebendig. Wie die Zunge von jemandem, der gleich sprechen will.
    Das Licht des Spätnachmittags spielte auf der Saite und ließ sie so golden leuchten wie das Herbstlaub im Gras am Fuß der
     Eberesche. Die Saite fühlte sich trotz ihrer Kürze überraschend schwer an, dabei war sie äußerst biegsam. Vorsichtig legte
     ich sie auf ein Büschel dunkelroter Beeren an einem tieferen Zweig der Eberesche. Ich wandte mich wieder dem Instrument zu
     und setzte die beiden letzten Wirbel ein, die ich aus demselben Weißdornast geschnitzt hatte wie die anderen. Erst gestern
     hatte ich sie alle aus dem Trockenofen genommen. Die Wirbel rieben gegen das Schallbrett aus Eiche und quietschten ganz leise.
    Zuletzt nahm ich wieder die Saite in die Hand. Nachdem ich sie an jedem der beiden Wirbel mit den sieben Schlingen eines Magierknotens
     festgebunden hatte, fing ich an zu drehen, einen Wirbel nach rechts, den anderen nach links. Allmählich spannte sich die Saite
     und wurde straff wie ein Banner im Wind. Bevor sie zu stramm wurde, hörte ich auf. Jetzt war nur noch der Steg einzufügen
     – und zu spielen.
    Ich lehnte mich an den Ebereschenstamm und besah mein Werk. Es war ein Psalter, ungefähr wie eine winzige Harfe geformt, doch
     mit einem gewölbten Schallbrett hinter den Saiten. Ich hob ihn hoch und betrachtete ihn bewundernd. Obwohl er kaum so groß
     wie meine Hand war, kam er mir so wunderbar vor wie ein neugeborener Stern.
    Mein eigenes Instrument. Mit eigenen Händen gebaut.
    Ich fuhr mit dem Finger über den eingelegten Eschestreifen oben auf dem Rahmen. Ich wusste, der Psalterwürde viel mehr sein als ein Musikinstrument. Natürlich nur, wenn ich bei seinem Bau keinen groben Fehler gemacht hatte. Oder,
     noch schlimmer   …
    Tief und unsicher atmete ich ein. Oder wenn mir das Einzige fehlte, was Cairpré mir nicht beibringen, noch nicht einmal beschreiben
     konnte – was er als
den wesentlichen Kern eines Zauberers
beschrieb. Denn wenn ein Magier sein erstes Instrument baute, daran hatte Cairpré mich oft erinnert, bedeutete das nach einer
     geheiligten Tradition, dass ein begabter junger Mensch mündig wurde. Falls es gelang und das Instrument schließlich gespielt
     wurde, ließ es seine eigene Musik erklingen. Und erschloss dem Zauberer zugleich eine ganz neue
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