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Eines Greifen Ei

Eines Greifen Ei

Titel: Eines Greifen Ei
Autoren: Michael Swanwick
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DIE SONNE BLITZTE hinter den Bergen auf. Gunther Weil hob eine Hand zum Salut, dann zuckte er zusammen, als der grelle Schein genau in dem Moment seine Augen traf, den sein Helm zum Polarisieren brauchte.
    Er transportierte Brennstäbe zur Industrieanlage des Kraters Chatterjee. Im Reaktor B von Chatterjee hatte es vierzig Stunden vor dem Morgengrauen einen Störfall gegeben, der fünfzehn ferngesteuerte Komponenten und ein Mikrowellenrelais zerstört und eine gewaltige Energiewelle ausgelöst hatte, durch die in allen Fabriken auf dem Gelände gleichartige Schäden verursacht worden waren. Zum Glück war ein Schmelzen, wie es immer wieder vorkam, von vornherein im System eingeplant. Als die Sonne über dem Hochland des Rätikon aufging, war ein neuer Reaktor gebaut und inzwischen soweit fertiggestellt worden, daß er in Betrieb genommen werden konnte.
    Gunther fuhr, ohne sich bewußt darauf zu konzentrieren, während er die Entfernung nach Bootstrap anhand der Menge des Mülls ermaß, der die Straße zum Mare Vaporum säumte. In der Nähe der Stadt waren ausrangierte Produktionsmaschinen und beschädigte Montagewerker in Vakuum-Speichern zwischengelagert und warteten auf eine mögliche Entsorgung. Zehn Kilometer außerhalb war ein Transporter mit Druckbelüftung explodiert und hatte Maschinenteile und riesige Würmer von Isolierschaum über die Landschaft verteilt. Etwa bei Kilometer fünfundzwanzig hatte ein schlecht ausgebautes Stück Straße vom Durchgangsverkehr jede Menge Frachtpaletten und zerschmetterte Positionslampen gefordert.
    Vierzig Kilometer weit draußen jedoch war die Straße frei von Unrat, eine gerade, saubere Spur durch den Steinschutt. Er achtete weder auf die Stimmen in Innern seine Kopfes noch auf das Rattern des Verkehrs und die automatisch durchgegebenen Sicherheitsmeldungen, die der Wagen routinemäßig in seinen Mentalkommunikations-Chip fütterte, sondern ließ die topographischen Details auf dem Armaturenbrett ablaufen.
    Ziemlich genau hier mußte es sein.
    Gunther bog von der Straße zum Mare Vaporum ab und zog von nun an Spuren in jungfräulichem Boden. »Sie haben die vorgegebene Route verlassen«, sagte der Wagen. »Abweichungen vom Plan sind nur mit der ausdrücklichen und aufgezeichneten Genehmigung des Speditionsleiters zulässig.«
    »Na ja, schon.« Gunthers Stimme schallte laut in seinem Helm, der einzige von einem lebendigen Körper erzeugte Laut in einem Geisterbabel. Er hatte die Druckanlage in der Kabine nicht eingeschaltet, und die Isolierschichten seines Anzugs glichen sogar das Holpern der Gleitflächen aus. »Du weißt genausogut wie ich, daß Beth Hamilton überhaupt nichts dagegen hat, wenn ich zwischendurch ein bißchen herumstreune, solang ich mit dem Fahrplan nicht allzusehr in Verzug gerate.«
    »Sie haben die sprachlichen Fähigkeiten dieses Geräts überschritten.«
    »Alles ist in Butter, mach dir nichts draus.« Geschickt befestigte er den Schalter des Gegensprechanlage mit einem Stück Draht in der Aus-Stellung. Die Stimmen in seinem Kopf verstummten sofort. Jetzt war er vollkommen von allem abgeschieden.
    »Sie haben versprochen, das nie wieder zu tun.« Die Worte, die direkt in seinen Mentalkom-Chip gesendet wurden, dröhnten so tief und hallend wie die Stimme Gottes. »Die Richtlinien von Generation Fünf verlangen ausdrücklich von allen Fahrern die ständige Aufrechterhaltung der Sprechver ...«
    »Heul nicht. Das macht dich nicht sonderlich reizvoll.«
    »Sie haben die sprachlichen Fähigkeiten dieses Geräts ...«
    »Oh, halt's Maul!« Gunther fuhr mit einem Finger über die topographischen Karten und verfolgte die Strecke, die er sich in der Nacht zuvor ausgedacht hatte: dreißig Kilometer über Sinter-Gelände, ein Terrain, das noch von keinem Menschen und keiner Maschine je überquert worden war, und dann nach Norden auf der Straße nach Murchison. Mit etwas Glück könnte es ihm sogar gelingen, Chatterjee vor der Zeit zu erreichen.
    Er schwenkte in die Lunarebene ab. Felsen schwebten beidseitig an ihm vorbei. Vor ihm entzogen sich die Berge allmählich der Wahrnehmung. Abgesehen von den immer kleiner werdenden Spuren der Gleitflächen hinter ihm gab es von Horizont zu Horizont nichts, das darauf hinwies, daß die Menschheit je existiert hatte. Die Stille war absolut.
    Gunther lebte für Augenblicke wie diesen. Beim Eintritt in diese unberührte, öde Leere empfand er eine überwältigende Erweiterung des Seins, als ob alles, was er sah - Sterne, die
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