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Merlin und die Feuerproben

Merlin und die Feuerproben

Titel: Merlin und die Feuerproben
Autoren: Thomas A. Barron
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Mutters Stimme, nicht mein Spiel.«
     Ich wandte mich an Cairpré. »Ist es jetzt an der Zeit? Für die Beschwörung?«
    Noch während der Dichter sich räusperte, verfinsterte sich sein Gesichtsausdruck wieder – diesmal so sehr, als wäre ein sonderbarer,
     verzerrter Schatten auf seine Gedanken gefallen. »Zuerst muss ich dir noch etwas sagen.«Er zögerte und wählte offenbar sorgsam seine Worte. »Seit der Zeit vor Menschengedenken hat jeder Junge, jedes Mädchen in
     Fincayra, die großes magisches Talent versprachen, das Zuhause verlassen und eine Lehre gemacht, die deiner ähnlich war. Nach
     Möglichkeit bei einem richtigen Magier oder einer echten Zauberin, aber wenn keine gefunden werden konnten, bei einem Gelehrten
     oder einem Barden.«
    »Wie du.« Worauf wollte er hinaus? Das alles wusste ich.
    »Ja, mein Junge. Wie ich.«
    »Aber warum erzählst du mir das?«
    Seine Stirn wurde so zerknittert wie seine Tunika. »Weil es noch etwas gibt, das du wissen solltest. Bevor du deinen Psalter
     spielst. Weißt du, diese Lehre – die Zeit zur Einübung in die Grundlagen der Zauberei, bevor noch mit dem Bau eines Musikinstruments
     begonnen wird – dauert normalerweise   … sehr lange. Länger als die acht oder neun Monate, die du damit verbracht hast.«
    »Wie lange dauert sie gewöhnlich?«, fragte meine Mutter.
    »Nun«, er suchte nach Worten, »das ist, äh, unterschiedlich. Es kommt auf den Einzelfall an.«
    »Wie lange?«, wiederholte sie.
    Er betrachtete sie düster. Dann antwortete er leise: »Zwischen fünf und zehn Jahren.«
    Wie Elen und Rhia schrak ich zusammen – fast hätte ich den Psalter fallen lassen.
    »Selbst Tuatha mit all seinen Gaben brauchte vier volle Jahre, bis er seine Lehre abgeschlossen hatte. Es in weniger als einem
     Jahr zu schaffen ist, nun, bemerkenswert. Mankönnte auch sagen   … unerhört.« Er seufzte. »Ich hatte vor, dir das zu sagen, wirklich, aber ich habe auf die richtige Zeit und Gelegenheit gewartet.
Der richtige Zeitpunkt am richtigen Ort, so rar wie im Reim das passende Wort.«
    Elen schüttelte den Kopf. »Du hattest noch einen anderen Grund.«
    Cairpré nickte traurig. »Du kennst mich zu gut.«
    Er schaute mich flehend an, während er mit der Hand über eine Wurzel der Eberesche strich. »Verstehst du, Merlin, ich wollte
     es dir nicht sagen, weil ich mir nicht sicher war, ob dein Tempo, die Schnelligkeit, mit der du jede Lektion gemeistert hast,
     auf dein eigenes Talent zurückzuführen war – oder auf meine Mängel als Lehrer. Hatte ich etwas vergessen? Irgendwelche Anweisungen
     missverstanden? Das plagt mich jetzt seit einiger Zeit. Ich habe all die alten Texte nachgelesen – oh ja, viele Male   –, nur um sicherzugehen, dass du alles richtig gemacht hast. Und ich glaube wirklich, alles ist, wie es sein soll, sonst hätte
     ich dich nicht so weit kommen lassen.«
    Er richtete sich auf. »Dennoch solltest du gewarnt sein. Denn wenn der Psalter nicht klingt, ist es vielleicht mein Fehler,
     nicht deiner. So ist es. Und wie du weißt, Merlin, bekommt ein junger Mensch nur eine Gelegenheit, ein magisches Instrument
     zu bauen. Nur eine. Wenn es dem Instrument nicht gelingt, hohe Magie hervorzurufen, bekommst du nie mehr eine zweite Chance.«
    Ich schluckte. »Wenn es mit meiner Ausbildung wirklich so schnell ging, liegt es möglicherweise an etwas ganz anderem. Etwas,
     das nichts mit deinen Fähigkeiten als Lehrmeister zu tun hat – oder meinen als Lehrling.«
    Cairpré zog die Augenbrauen hoch.
    »Vielleicht hatte ich Hilfe. Von einer Stelle, mit der keiner von uns gerechnet hat. Von wo, weiß ich nicht.« Nachdenklich
     fuhr ich mit dem Daumen über den Griff meines Stocks. Plötzlich hatte ich einen Einfall. »Von meinem Stock zum Beispiel. Ja,
     ja, das muss es sein! Tuathas Zauber.« Ich rollte den zugespitzten Stock unter meinem Gürtel hin und her. »Er war von Anfang
     an bei mir und er ist jetzt bei mir. Bestimmt hilft er mir auch den Psalter zu spielen.«
    »Nein, mein Junge.« Cairpré hielt meinem Blick stand. »Dieser Stock mag dir in der Vergangenheit geholfen haben, das ist wahr
     – aber jetzt hilft er dir nicht. Was das angeht, sind die Texte so klar wie die Herbstluft. Nur der Psalter und die Fähigkeiten,
     die du bei seinem Bau genutzt hast, werden entscheiden, ob du diese Prüfung bestehst.«
    Ich schwitzte an der Hand, die den kleinen Rahmen hielt. »Was macht der Psalter, wenn ich versage?«
    »Nichts. Er macht keine Musik.
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