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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation
Autoren: Paul Watzlawick
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«sekundären Krankheitsgewinns» erhellt.' Im Wesentlichen blieb die wechselseitige Abhängigkeit des Individuums und seiner Umwelt ein eher vernachlässigtes Gebiet der Psychoanalyse, und gerade auf diesem Gebiet ist es unerlässlich, den Begriff des Informationsaustausches, also der Kommunikation, zu berücksichtigen. Zwischen dem psychodynamischen (psychoanalytischen) Denkmodell und jeder begrifflichen Formulierung der Wechselbeziehung zwischen Organismus und Umwelt besteht ein grundsätzlicher Unterschied, der vielleicht durch die folgende Analogie klarer umrissen werden kann [12]: Wenn man beim Gehen gegen einen Stein stößt, so wird Energie vom Fuß auf den Stein übertragen; der Stein wird dadurch ins Rollen gebracht und schließlich an einer Stelle liegen bleiben, die durch die übertragene Energiemenge, die Form und das Gewicht des Steins, die Oberflächenbeschaffenheit usw. vollkommen determiniert ist. Angenommen dagegen, es handle sich um einen Hund, so könnte dieser aufspringen und zubeißen. In diesem Fall wäre die Beziehung zwischen dem Stoß und dem Biss eine wesentlich andere, denn zweifellos würde sich der Hund der Energie seines eigenen Körperhaushalts und nicht der des Tritts bedienen. Was hier übertragen wird, ist nicht mehr Energie, sondern Information. Mit anderen Worten, der Tritt wäre eine Verhaltensform, die dem Hund etwas mitteilt, und der Hund reagiert darauf mit einer entsprechenden anderen Verhaltensform. Dieser Unterschied zwischen Energie und Information trennt die Freud'sche Psychodynamik von der Kommunikationstheorie als Erklärung menschlichen Verhaltens. Wie man sieht, lässt sich die eine nicht in die andere einbauen noch die andere von der einen ableiten. Sie stehen zueinander in einer Beziehung begrifflicher Diskontinuität.

    Diese Begriffsverschiebung von Energie zu Information ist
verantwortlich für die fast Schwindel erregende Entwicklung der Wissenschaftslehre und der Technologie seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs, und sie hat auch das Bild vom Menschen neu
bestimmt. Die Erkenntnis, dass Information über einen Effekt,
die dem Effektor in geeigneter Weise zugeführt wird, die Umweltanpassung und innere Stabilität des Effektors sichert, hat nicht
nur die Konstruktion von selbstregulierenden und zielstrebigen
Maschinen (also Maschinen höherer Ordnung) ermöglicht, sondern auch völlig neue Einsichten in das Wirken sehr komplexer
Systeme eröffnet, wie man sie in der Biologie, Psychologie,
Soziologie, Ökonomie und vielen anderen Gebieten findet. Während zurzeit die Bedeutung der Kybernetik, d. h. der Lehre von
der Steuerung solcher Systeme, noch nicht annähernd abzuschätzen ist, sind ihre Grundprinzipien überraschend einfach.

    Solange sich die Wissenschaft nur mit dem Studium linearer
und progressiver Kausalitätsabläufe befasste, verblieben gewisse
hochwichtige Phänomene außerhalb des ungeheuren Gebiets, das
die Wissenschaft während der letzten vier Jahrhunderte erschlossen hat. Es ist vielleicht eine übertriebene, aber doch nützliche
Vereinfachung, diesen Phänomenen den gemeinsamen Nenner
der miteinander verwandten Begriffe des «Werdens» und «Wachsens» zuzuordnen. Um diese Phänomene in ein geeintes wissenschaftliches Weltbild einzubeziehen, musste die Wissenschaft seit
den Tagen der Antike zu verschiedentlich definierten, doch
immer nebulosen und unbefriedigenden Hilfsbegriffen Zuflucht
nehmen, die einen «Zweck» im Ablauf der Ereignisse annahmen
und postulierten, dass das Endergebnis «irgendwie» die zu ihm
hinführenden Stufen bedinge. Oft wurde diesen Phänomenen
auch ein innewohnender «Vitalismus» zugeschrieben - Ansichten, deren Wissenschaftlichkeit meist als fragwürdig empfunden
wurde. Damit entflammte sich schon vor über 2500 Jahren eine
Kontroverse, die bis in unsere Tage hereindauert: der Streit zwischen Determinismus und Teleologie.
    Die Kybernetik hat hier eine entscheidende Änderung
gebracht, indem sie zeigte, dass die beiden Prinzipien sich zwanglos in einen größer angelegten Begriffsrahmen einbauen lassen. Dieser neue Aspekt wurde durch die Erkenntnis des Prinzips der
Rückkopplung (feedback) möglich. Eine Kausalkette, in der
Ereignis a Ereignis b bewirkt, b dann c verursacht und c seinerseits d usw., würde die Eigenschaften eines deterministischen,
linearen Systems haben. Wenn aber d auf a zurückwirkt, so ist
das System zirkulär und funktioniert auf völlig andere Weise: Es
zeigt ein
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