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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation
Autoren: Paul Watzlawick
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Funktionsbegriffs in der Mathematik und dem Erwachen der Psychologie zum Begriff der Beziehung. Seit ältester
Zeit - in gewissem Sinn seit Aristoteles - stellte man sich die Seele
als aus gewissen Eigenschaften oder Teilen zusammengesetzt vor,
mit denen der Einzelne zu einem größeren oder kleineren Teil begabt ist - nicht anders, als ihm von Natur ein schwerer oder
schmächtiger Körperbau, rotes oder blondes Haar usw. mit auf
den Weg gegeben wurde. Mit dem Ende des letzten Jahrhunderts
begann dann in der Psychologie die Experimentalära und mit
ihr das Entstehen eines weitaus verfeinerten Vokabulars, das aber
in einem wichtigen Sinn trotzdem nicht wesentlich anders war:
Es bestand weiterhin aus mehr oder weniger nicht aufeinander
bezogenen Einzelbegriffen. Diese Begriffe nannte man psychische Funktionen, was insofern bedauerlich ist, als sie mit dem
Begriff der mathematischen Funktion keinerlei Ähnlichkeit
haben und auch keine solche Übereinstimmung beabsichtigt war.
Bekanntlich wurden Begriffe wie Empfindung, Wahrnehmung,
Apperzeption, Gedächtnis und viele andere als derartige Funktionen bezeichnet, und eine gewaltige Arbeit wurde und wird noch
weiter geleistet, um sie in künstlicher Isolierung zu studieren.
Demgegenüber hat Ashby z. B. darauf verwiesen, wie die Notwendigkeit der Annahme eines Gedächtnisses in direkter Beziehung zur Beobachtbarkeit eines bestimmten Systems steht. Er
stellt fest, dass für einen Beobachter, der im Besitz aller notwendigen Informationen ist, jeder Bezug auf die Vergangenheit (und
damit auf die Existenz eines Gedächtnisses im System) unnötig
ist. Für den Beobachter ist das Verhalten des Systems durch den
derzeitigen Zustand gegeben. Ashby führt hierzu folgendes Beispiel an:

    ... Angenommen, ich bin im Hause eines Freundes und beim Vorbeifahren eines Wagens draußen rennt sein Hund in eine Zimmerecke und
duckt sich angstvoll. Für mich ist dieses Verhalten grundlos und unerklärbar. Dann sagt mein Freund: «Er wurde vor sechs Monaten von
einem Auto überfahren.» Mit diesem Hinweis auf ein sechs Monate
zurückliegendes Ereignis ist das Verhalten des Hundes erklärt. Wenn wir
sagen, der Hund zeige ein «Gedächtnis», so beziehen wir uns weitgehend auf dieselbe Tatsache - dass sich sein Verhalten nicht durch seinen
augenblicklichen Zustand, sondern durch den vor sechs Monaten erklären lässt. Wenn man nicht vorsichtig ist, könnte man sagen, der Hund
«habe» ein Gedächtnis, und dann etwa denken, der Hund habe ein
Ding, so wie er vielleicht einen schwarzen Fleck auf seinem Fell hat. Das könnte einen dazu verleiten, nach dem Ding zu suchen; und unter
Umständen entdeckt man dann, dass dieses «Ding» gewisse sehr merkwürdige Eigenschaften hat.

    Offensichtlich ist «Gedächtnis» nicht ein objektives Etwas, das ein
System besitzt oder nicht besitzt; es ist ein Begriff den der Beobachter
anwendet, um die Lücke zu füllen, die die Nichtbeobachtbarkeit des
Systems verursacht. Je weniger Variablen der Beobachtung zugänglich
sind, desto mehr wird der Beobachter gezwungen sein, die Wirkung vergangener Ereignisse im Verhalten des Systems zu berücksichtigen. Daher
ist «Gedächtnis» im Gehirn nur teilweise objektiv. Kein Wunder, dass
seine Eigenschaften sich oft als ungewöhnlich oder sogar paradox erweisen. Es besteht wohl kein Zweifel, dass dieser ganze Fragenkomplex
einer Überprüfung von Grund auf bedarf [5, S. 117].
    So wie wir diese Ausführungen verstehen, verneinen sie keineswegs die eindrucksvollen Fortschritte der neurophysiologischen
Forschung über die Informationsspeicherung im Gehirn. Zweifellos ist der Zustand des Hundes seit dem Unfall ein anderer;
irgendeine molekulare Veränderung muss stattgefunden, irgendeine neue synaptische Verbindung sich ausgebildet haben - kurz,
«etwas» muss dazugekommen sein, das der Hund jetzt «hat».
Ashby indessen nimmt ganz offensichtlich Stellung gegen den
Begriff und seine Reifikation.
    Eine andere Analogie, die von Bateson [17] stammt, ist die
einer Schachpartie. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt ist es möglich,
den Stand des Spiels aus der augenblicklichen Stellung der Figuren abzuleiten (Schach ist ja ein sogenanntes Spiel mit vollständiger Information), ohne dass dazu irgendeine «Erinnerung» an die
vorangegangenen Züge notwendig wäre. Selbst wenn man die
augenblickliche Stellung aller Schachfiguren als das «Gedächtnis
des Spiels» auffassen wollte, so wäre dies dennoch
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