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Menschliche Kommunikation

Menschliche Kommunikation

Titel: Menschliche Kommunikation
Autoren: Paul Watzlawick
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wenn sie
eine nützliche Sprache für die Beschreibung bestimmter Phänomene der menschlichen Kommunikation darstellen.
    1.2 Funktion und Beziehung
    Der Hauptgrund für die Verwendung von mathematischen Analogien und Vergleichen liegt in der großen Nützlichkeit des
mathematischen Begriffs der Funktion. Um dies zu erklären, ist
eine kurze Abschweifung in die Zahlentheorie erforderlich.
    Die Wissenschaftsphilosophen scheinen sich darüber einig zu
sein, dass der bedeutsamste Fortschritt des modernen mathematischen Denkens in der Entwicklung eines neuen Zahlenbegriffs
besteht, die mit Descartes begann und bis in unsere Tage hineinreicht. Für die griechischen Mathematiker waren Zahlen konkrete, reale, wahrnehmbare Größen, die ihrerseits Eigenschaften
ebenso realer Objekte darstellten. Somit war die Geometrie
gleichbedeutend mit Messen, die Arithmetik mit Zählen. In seinem Kapitel «Vom Sinn der Zahlen» zeigt Oswald Spengler [139],
dass nicht nur die Null als Zahlbegriff für die antiken Mathematiker undenkbar war, sondern dass auch negative Größen keinen Platz in der Wirklichkeit der klassischen Welt hatten:
«Negative Größen gibt es nicht. Der Ausdruck -2 • -3 = +6 ist
weder anschaulich noch eine Größenvorstellung» (S. 89). Die
Auffassung, dass die Zahlen Größen ausdrücken, blieb zwei
Jahrtausende lang unangefochten. Die entscheidende Wandlung
wurde 1591 durch Vieta herbeigeführt, der Buchstaben statt
Zahlen zu verwenden begann. Damit wurde die Zahl als Größenvorstellung auf einen zweitrangigen Platz verdrängt und der
wichtige Begriff der Variablen geschaffen - ein Begriff, der für
die antiken Mathematiker ebenso unwirklich gewesen wäre
wie eine Halluzination. Denn im Gegensatz zur Zahl als Ausdruck einer wahrnehmbaren Größe haben die Variablen keine
ihnen innewohnende Bedeutung; sie sind nur in Beziehung zueinander sinnvoll. Eine solche Beziehung zwischen Variablen
(meist, aber nicht unbedingt in Form einer Gleichung ausgedrückt) stellt den Begriff der Funktion dar. Funktionen, um
Spengler nochmals zu erwähnen,

    sind überhaupt keine Zahlen im plastischen Sinne, sondern Zeichen für einen Zusammenhang, dem die Merkmale der Größe, Gestalt und Eindeutigkeit fehlen, für eine Unendlichkeit möglicher Lagen von gleichem Charakter, die als Einheit begriffen erst die Zahl sind. Die ganze Gleichung ist, in einer Zeichenschrift, die leider viele und irreführende Zeichen verwendet, tatsächlich eine einzige Zahl, und x, y, z sind es so wenig, als + und = Zahlen sind (S. 103).
    So enthält z. B. die Gleichung y2 = 4ax durch die Herstellung einer eindeutigen Beziehung zwischen x und y alle Eigenschaften einer bestimmten Kurve.2

    Wozu diese Begriffserweiterung im modernen wissenschaftlichen Denken geführt hat, umreißt Susanne Langer mit eindrucksvoller Klarheit:
    Hinter diesen Symbolen liegen die kühnsten, reinsten, kühlsten Abstraktionen, zu denen die Menschheit vorgedrungen ist. Kein über Wesen und
Attribute spekulierendes scholastisches Denken hat auch nur annähernd
den Abstraktionsgrad der Algebra erreicht. Aber dieselben Wissenschaftler, deren ganzer Stolz ihr konkretes Tatsachenwissen war, die keinen Beweis, der nicht auf empirischer Evidenz beruhte, gelten lassen
wollten, haben die Demonstrationen und Kalkulationen, die körperlosen, manchmal zugegebenermaßen «fiktiven» Entitäten der Mathematik
ohne Zögern akzeptiert. Null und Unendlichkeit, Quadratwurzeln aus
negativen Zahlen, Primzahlen und vierte Dimension, alles dies wurde im
Laboratorium ungefragt willkommen geheißen, während der nachdenkende Laie, der noch gutgläubig an einer unsichtbaren Seelensubstanz
festhielt, ihre logische Verlässlichkeit in Zweifel zog ...
    Das Geheimnis liegt darin, dass ein Mathematiker nicht den Anspruch
erhebt, irgendetwas über Existenz, Realität oder Wirksamkeit von Dingen auszusagen. Ihn beschäftigt die Möglichkeit, Dinge und die Beziehungen, in die sie zueinander eintreten können, zu symbolisieren. Seine
«Entitäten» sind keine «Daten», sondern Begriffe. Weshalb auch Wissenschaftler, für die unsichtbare Mächte, Gewalten und «Prinzipien» Anathema sind, Elemente wie «imaginäre Zahlen» und «unendliche Dezimalbrüche» bereitwillig hinnehmen. Mathematische Konstruktionen sind
nur Symbole; sie haben Bedeutungen im Bereich der Relationen, nicht
der Substanzen [90, S. 27].
    Nun besteht ein eindrucksvoller Parallelismus zwischen der Ausbildung des
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