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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Håkan Nesser
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sie hinter sich gebracht. Ihr erklärt, dass sie doch beschlossen hatten, Kelvin mitzunehmen. In letzter Minute, ja, aber es hatte noch einen Platz im Flugzeug gegeben.
    Also konnte sie auf jeden Fall von vierzehn Tagen Frist ausgehen, und die Zeit danach … ja, wenn sie es soweit geschafft hatte, dann würde sie sicher auch einen Rat wissen.
    Kommt Zeit, kommt Rat.
    Wenn es nun einmal nötig war, weiterzuleben. Die Hauptsache war, dass die Kinder davonkamen, die Gedanken der Nacht saßen ihr noch im Nacken – und dazu war sie natürlich gezwungen, zunächst einmal ihr neues Kind zu gebären, bis zu diesem Zeitpunkt waren es noch mindestens sechs Wochen, also mussten die vierzehn Tage in die Länge gezogen werden, wenn sie es genauer bedachte … wie hatte sie das nur nicht bedenken können? Warum vergaß sie immer wieder ihr ungeborenes Kind? Wie konnte sie so etwas ignorieren?
    Andererseits hatte sie kaum Zeit gehabt, sich das alles auszurechnen, und erneut kam das Gefühl des Übermuts und wedelte mit seinem roten Tuch. Es war so leicht, sich einzubilden, dass der ganze Tunnel beleuchtet war, wenn man nur ein Licht an seinem Ende erkennen konnte. So leicht, sich zu früh zu freuen, wie schon gesagt.
    Keine weiteren Pläne, bis wir in der Luft sind, beschloss sie. Überhaupt keine Pläne mehr. Höchstens ein paar Stunden in die Zukunft schauen, maximal einen Tag, das war wahrlich genug … o ja.
    Vor ihr stand ein altes Paar Hand in Hand. Schön braungebrannt, mitten im Dezember. Sicher sind es Auslandsschweden, dachte sie. Sind wohl eine Woche hier gewesen und haben die Familie besucht, jetzt sind sie auf dem Weg zurück in ihr Paradies an der Sonnenküste. Der Mann trug einen etwas zerknitterten, gelblichweißen Leinenanzug, die Frau lange Hosen und eine Tunika in Meergrün. Sie spürte einen Stich von Neid. So alt zu sein, sicher an die achtzig, und trotzdem noch so liebevoll Hand in Hand auf einem Flugplatz zu stehen. Soweit werde ich nie kommen, dachte sie. Und ich kann sie nicht betrachten, ohne eifersüchtig zu werden, nicht einmal das habe ich gelernt.
    Die Schlangengedanken begannen wieder in ihr zu rumoren, und plötzlich fiel ihr ein, was sie geträumt hatte. Es war gar nicht um Walter gegangen, wie sie es sich gewünscht hatte, sondern um Henrik. Aber es war nicht der schöne Traum gewesen, um den sie gebeten hatte, nicht von der Nacht, den ersten Stunden – nein von der einen Stunde, mehr war es ja gar nicht gewesen -, die sie zusammen hatten haben dürfen, bevor alles zusammenbrach.
    Von seiner Scheu hatte sie geträumt. Von seiner Unbeholfenheit und seinem jungen, unverbrauchten Körper. Der Traum hatte sich tatsächlich genau in dem Hotelzimmer abgespielt, aber sie selbst war nicht Kristina gewesen. Das war das Merkwürdige. Stattdessen war sie jemand anderes gewesen, eine Person, die vor dem Fenster gestanden und die beiden da drinnen im Bett beobachtet hatte, ihnen zusah, wie sie sich liebten – und erst nach langer, langer Zeit war ihr klar geworden, dass sie Jakob war. Sie stand da und starrte sich selbst und Henrik mit Jakobs Augen an, und als sie es endlich einsah, begriff, wer sie war und was sie da betrachtete, stieß sie einen Schrei aus und warf sich durch das Fenster, um die beiden Liebenden zu zerreißen und … doch bevor sie das Bett erreicht hatte, war sie aufgewacht.
    Aufgewacht und hatte sich überhaupt nicht mehr an den Traum erinnert. Bis jetzt, anderthalb Stunden später. Das war merkwürdig. Konnten verschwundene Träume auf diese Art und Weise zurückkommen? Wieso? Was hatte das zu bedeuten? Sie spürte, wie ein Schweißtropfen ihre Achselhöhle verließ und an der Seite ihres Körpers hinunterlief – und wie gleichzeitig ein Ton in ihrem Kopf zu entstehen schien. Ein leiser, kaum hörbarer Ton, eher wie ein Vibrieren. Was ist mit mir los?, dachte sie erschrocken. Was passiert mit mir? Bin ich dabei, die Kontrolle über mich zu verlieren?
    Das alte Paar war an der Reihe einzuchecken. Sie ging bis zum gelben Strich vor. Holte tief Luft und ballte die Fäuste.
     
    Es klappte. Noch einmal klappte es. Zehn Minuten später waren die Karre und die Tasche eingecheckt. Die Sicherheitskontrolle und eine Stunde Warten an Gate 15, dann war alles überstanden. Sie nahm Kelvin auf den Arm und ging zum Eingang. Zeigte einem kurzgeschorenen Jüngling in weißem Hemd und dunkler Krawatte ihre Bordkarte. Er nickte ihr entgegenkommend zu, gab ihr jedoch die Karte nicht zurück.
    »Einen
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