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Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)

Titel: Mensch ohne Hund: Roman (German Edition)
Autoren: Håkan Nesser
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hatten sie miteinander verkehrt. Zu viert. Zu Bridgeabenden oder so. Eine Theaterreise nach Stockholm. Eine Katastrophenwoche auf Kreta. Rosemarie überlegte, dass sie Berit ein wenig vermisste, nicht jedoch Fläskbergson. Den Umgang mit ihm sozusagen.
    Warum stehe ich eigentlich hier und verschwende meine kostbaren Morgenminuten damit, an diese eindimensionale Null zu denken?, fragte sie sich schließlich. Warum sehe ich nicht lieber zu, in aller Ruhe meine Morgenzeitung zu lesen? Offenbar bin ich dabei, die Kontrolle zu verlieren.
     
    Aber auch bei Kaffee und Zeitung stellten sich keine besseren Gedanken ein. Es gab keine Lichtblicke. Als sie den Blick hob und auf die Küchenuhr schaute – ein Impulskauf bei IKEA für 49,50, vor langer Zeit, im Herbst 1979 und vermutlich unverwüstlich – zeigte diese zwanzig Minuten nach sechs, es würde noch mindestens siebzehn Stunden dauern, bis ihr die Gnade zuteil werden würde, wieder in ihr Bett kriechen zu dürfen und einen weiteren düsteren Tag mit seinen Ereignissen hinter sich zu legen. Und zu schlafen, nur zu schlafen.
    Heute war Sonntag. Es war ihr zweiter Tag als glückliche Pensionärin, die letzte bedeutungsvolle Veränderung im Leben, bevor der Tod eintrat, wie eine freundliche Seele bemerkt hatte, und sie sagte sich, dass sie, hätte sie nur einen Zugang zu einer Waffe gehabt, bereits beim Aufwachen, als sie daran erstmals gedacht hatte, von ihr Gebrauch gemacht hätte. Sich eine Kugel in den Kopf geschossen, bevor Karl-Erik in seinem gestreiften Pyjama in die Küche gekommen wäre, bevor er sich gestreckt und erklärt hätte, er habe geschlafen wie ein Kind. Wenn diese Nahtod-Schilderungen stimmten, die sie gelesen hatte, hätte es anschließend interessant sein können, unter der Decke zu schweben und sein Mienenspiel zu betrachten, wenn er sie fände, über dem Tisch zusammengebrochen, den Kopf in einer großen, warmen Blutlache liegend.
    Aber so etwas tut man nicht. Schon gar nicht, wenn man keine gute Waffe hat und auch ein wenig an die Kinder denken muss. Sie trank einen Schluck Kaffee, verbrannte sich dabei die Zungenspitze und schaltete wieder ihr Alltagsgehirn ein. Was stand an diesem zweiten Tag nach einem langen Arbeitsleben auf dem Programm?
    Das ganze Haus putzen. So einfach war das. Die Kinder und die Enkelkinder sollten am nächsten Tag eintrudeln, und am Dienstag war der große Tag.
    Der Tag, der eigentlich in die Annalen der Familie hätte eingehen sollen, der aber in sonderbarer Art und Weise wegen Walter zu einer Art pompösem Anti-Ereignis zusammengeschrumpft war. Genau das. Den ganzen Herbst über war die Rede von einhundert bis einhundertzwanzig Personen gewesen; einzig das Fassungsvermögen der Svea-Speisesäle hatte die Sache beschränkt, und Karl-Erik hatte die Sache immer und immer wieder mit dem Kellermeister Brundin diskutiert, und gut hundert Leute sollten kein Problem darstellen.
    Die dann aber nicht eingeladen werden sollten. Walters Skandal ereignete sich am 12. November, die Lokalitäten waren schon lange reserviert worden, aber es war noch nicht zu spät gewesen, um abzusagen. So um die siebzig Einladungskarten waren schon abgeschickt worden, um die zwanzig Zusagen waren bereits eingegangen, aber die Leute waren äußerst verständnisvoll, als man ihnen erklärte, dass man sich aufgrund der Umstände dazu entschlossen hatte, eine kleinere Familienfeier zu arrangieren.
    Durchgängig äußerst verständnisvoll waren sie gewesen. Die Sendung hatte eine Zuschauerzahl von fast zwei Millionen gehabt, und die, die sie nicht gesehen hatten, wurden am folgenden Tag über die Abendpresse informiert.
    WICHS-WALTER. Das Wort in den Schlagzeilen hatte sich in Rosemaries Mutterherz eingebrannt wie ein Brandzeichen auf einer borstigen Sau, und sie wusste, dass sie Walter für den Rest ihres Lebens nie wieder einen Gedanken widmen konnte, ohne diesen schrecklichen Zusatz hinzuzufügen. Sie hatte beschlossen, nie, nie wieder das Aftonbladet oder den Expressen zu lesen, ein Versprechen, das sie bisher noch nicht gebrochen hatte, ja, nicht einmal im Ansatz daran gedacht hatte, es zu brechen.
     
    Also eine kleinere Familienfeier. Anschließend war es in der Schule das Gleiche gewesen. Der gleiche diskrete Vorhang der Barmherzigkeit war auch hier gefallen. Als das Ehepaar Hermansson sich nach zusammen sechsundsechzig Dienstjahren nunmehr gleichzeitig von der blutbesudelten Kampfbahn der Pädagogik zurückzog, wie ein schlauer Kopf, aber wohl
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