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Menetekel

Menetekel

Titel: Menetekel
Autoren: Raymond Khoury
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so viel Sachkenntnis aus, dass es klang, als wolle er ihr großzügigerweise Gelegenheit geben, auch einmal mit ihrem Wissen zu glänzen.
    «Nun, wenn die Eisschilde schmelzen, legen sie die riesigen Gletscher frei, die hinter dem Schelfeis auf der Landmasse liegen. Die schwimmen nämlich nicht.»
    «Und würden darum», ergänzte Roxberry, «im Falle des Abschmelzens zu einer Erhöhung des Meeresspiegels führen.»
    «Ganz genau. Bisher haben die Eisschelfe die Gletscher zurückgehalten, etwa so wie ein Korken. Sobald das Schelfeis wegbricht, gibt es keinen Korken mehr, und nichts hindert die Gletscher mehr daran, ins Meer zu rutschen – wenn das geschieht, steigt der Meeresspiegel weltweit. Das Abschmelzengeht viel schneller vonstatten als angenommen. Selbst die Einschätzungen des letzten Jahres gelten inzwischen als zu optimistisch. In den Katastrophenszenarien zu den Folgen des Klimawandels wurde die Antarktis bislang als schlafender Riese betrachtet. Nun ist der Riese erwacht. Und wie es aussieht, hat er richtig schlechte Laune.»
    «Ich sollte mir wirklich auf die Zunge beißen, um jetzt nicht zu sagen, dass es sich dabei nur um die Spitze des Eisberges handeln dürfte   …»
    «Eine sehr kluge Entscheidung, Jack.» Sie konnte sich das süffisante, selbstzufriedene Grinsen, das ihm im solariengebräunten Gesicht stand, lebhaft vorstellen und stöhnte innerlich. «Unsere Zuschauer werden es Ihnen danken.»
    «Aber im Grunde ist das doch der springende Punkt, oder?»
    «Absolut. Sobald die Gletscher ins Meer rutschen, wird es zu spät sein, irgendetwas dagegen zu unternehmen, und   …»
    Plötzlich machte sich Unruhe an Deck breit, und sie verlor den Faden. Leute schrien auf, schnappten nach Luft, zeigten zum Eisschelf. Als Dalton den Kopf vom Sucher der Kamera hob und an ihr vorbeisah, blieben ihr die Worte endgültig im Hals stecken. Sie wirbelte herum. Und dann sah sie es.
    Es stand am Himmel. Mindestens hundert Meter über den berstenden Eisbrocken.
    Ein helles, schimmerndes Licht. Eine Art Kugel.
    Das Licht war einfach so aufgetaucht, und es bewegte sich nicht.
    Gracie ließ es nicht aus den Augen, während sie langsam an die Reling trat. Was auch immer sie dort sah, sie konnte den Blick nicht davon lösen.
    Das Objekt – nein, sie war sich nicht einmal sicher, dass es überhaupt ein Objekt war   … Es besaß die Gestalt einer Kugel, aber es hatte überhaupt nichts Greifbares an sich, sondern war von einer ätherischen Leichtigkeit, als hätte die Luft selbst angefangen zu leuchten. Und das Leuchten war auch nicht gleichförmig. Im Kern intensiv, wurde es nach außen hin zarter, wie die Nahaufnahme einer Iris. Es wirkte instabil, fragil. Wie schmelzendes Eis oder schlicht wie Wasser, das dort oben in der Luft schwebte und leuchtete, falls so etwas möglich war – was es natürlich
nicht
war.
    Gracie sah rasch zu Dalton, der mit der Kamera daraufhielt. «Kriegst du das?», brachte sie heraus.
    «Klar», gab er zurück und sah sie völlig perplex an. «Aber was zum Teufel ist das?»

KAPITEL 2
    Gracie konnte die Augen nicht mehr davon abwenden. Es war einfach da und leuchtete am fahlen Himmel über dem Schelfeisrand. Seine Fremdartigkeit, seine Unwirklichkeit bannten sie.
    «Was ist das bloß?», fragte Finch. Er fasste sich an die Brille und rückte sie zurecht, als würde das etwas helfen.
    «Keine Ahnung.» Sie spürte ihren Adrenalinspiegel steigen, während sie rasch die möglichen Erklärungen durchging.
    Fehlanzeige. Ihr war nichts Vergleichbares bekannt.
    Sie sah sich um. Die Wissenschaftler redeten und gestikulierten aufgeregt, suchten ebenfalls nach Erklärungen.
    «Gracie? Was ist das hinter Ihnen?», dröhnte unvermittelt Roxberrys Stimme in ihrem Ohr.
    Sie hatte ganz vergessen, dass sie auf Sendung waren. «Sie können das sehen?»
    Es vergingen ein paar Sekunden, bis ihre Frage und seine Antwort den Weg über ein, zwei Satelliten genommen hatten, dann war seine Stimme wieder da. «Die Schärfe lässt einwenig zu wünschen übrig, aber ja, wir haben ein Bild – was ist das?»
    Sie riss sich los, drehte sich frontal zur Kamera und versuchte ihre Stimme fest klingen zu lassen. «Ich weiß es nicht, Jack. Es tauchte ganz plötzlich auf. Es scheint eine Art Korona zu sein, ein Strahlenkranz   … Einen Augenblick, bitte.»
    Sie sah sich um, suchte den Himmel ab. Überprüfte, ob außer der Sonne hinter dem Nebelschleier noch etwas anderes zu sehen war. Nichts. Hier draußen waren definitiv
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