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Menetekel

Menetekel

Titel: Menetekel
Autoren: Raymond Khoury
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dienen?»
    Pater Hieronymus öffnete den Mund, zögerte, dann stammelte er: «Ja, das bin ich. Was immer du von mir verlangst. Ich bin dein Diener.»
    Stille. Der alte Priester spürte einzelne Schweißtropfen die zerfurchte Stirn hinunterrinnen, einer nach dem anderen sammelte sich in den Brauen und tropfte auf die Wangen. Beinahe meinte er zu hören, wie sie sich langsam und mühevoll einen Weg über sein angespanntes Gesicht bahnten.
    Dann erklang die Stimme in seinem Kopf erneut.
    «Bist du bereit, dein Volk ins Heil zu führen? Bist du bereit zu kämpfen? Den Menschen zu zeigen, wo sie irren, auch wenn sie es vielleicht nicht hören wollen?»
    «Ja!», rief Pater Hieronymus. Seine Stimme bebte, ebenso sehr aus Leidenschaft wie aus Furcht. «Ja, ich bin bereit. Was soll ich tun? Und wann?»
    Drückende Stille senkte sich über den Berg. Wieder hörte er die Stimme: «Bald.»

KAPITEL 1
    AMUNDSEN-SEE, ANTARKTIS – GEGENWART
    Das statische Rauschen in dem winzigen Ohrhörer verebbte, stattdessen hörte sie die ernste Stimme des Nachrichtensprechers.
    «Können Sie die Ursache der aktuellen Ereignisse noch einmal für unsere Zuschauer zusammenfassen, Grace?»
    Im gleichen Moment barsten hinter ihr weitere Eismassen von der Gletscherwand und stürzten unter donnerndem Getöse in sich zusammen. Grace Logan, von ihren Freunden Gracie genannt, wandte sich von der Kamera ab. Das Eis versank im graublauen Wasser. Gischt schäumte.
    Perfektes Timing,
dachte sie mit einem Anflug von Zufriedenheit, dann holte sie das Gefühl von Bedeutsamkeit wieder ein, das sie seit ihrer Ankunft mit dem Schiff gestern verspürte.
    Unter normalen Umständen wäre dies ein angenehmer, sonniger Tag Ende Dezember gewesen, der hier auf der südlichen Halbkugel mitten in den Hochsommer fiel.
    Heute war das anders.
    Heute war die Natur in Aufruhr.
    Es fühlte sich an, als würde die Erde in ihrem Inneren erbeben. Was zutraf. Die Eisfläche, die sich derzeit vom antarktischen Kontinent löste, war so groß wie Texas.
    Nicht gerade die Sorte Weihnachtsgeschenk, die der Planet gebrauchen konnte.
    Schon den dritten Tag brach das Schelfeis, und noch immer war kein Ende abzusehen. Die erdgeschichtliche Katastrophe überzog das Gebiet mit einem geisterhaften Dunst, der die Sonneneinstrahlung verminderte, und langsam begann die Kälte Gracie zuzusetzen, da half auch das Adrenalin nicht viel. Auch ihre beiden Teamkollegen schienen zu frösteln. Mit Dalton Kwan, dem jungen, stets gutaufgelegten Kameramann aus Hawaii, arbeitete sie seit drei Jahren regelmäßig zusammen, und der Produzent Howard «Finch» Fincher war ein sehr sorgfältig arbeitender alter Hase, der sich durch nichts und niemanden aus der Ruhe bringen ließ. Nun, sie froren jedenfalls nicht umsonst; es war das Bildmaterial, das sie gerade live brachten, absolut wert. Zumal sie, soweit Grace wusste, das einzige Nachrichtenteam weit und breit waren.
    Sie standen jetzt schon seit über einer Stunde auf der Aussichtsplattform des Steuerborddecks der
James Clark Ross
, und trotz der Thermokleidung und der Handschuhe hatte sie eiskalte Finger und Zehen. Das klobige englische Forschungsschiff von neunzig Metern Länge war ein Labor für Ozeanographie und Geophysik, das vom British Antarctic Survey betrieben wurde. Im Moment befand es sich weniger als eine halbe Meile vor der Küste der Westantarktis. Sein leuchtend dunkelroter Schiffskörper stellte den einzigenFarbtupfer in dem trüben Weiß, Blau und Grau ringsum dar. Sie waren einige Wochen auf der Antarktischen Halbinsel gewesen und hatten Material für Gracies umfassende Dokumentation über die Klimaerwärmung gesammelt. Gerade als sie alles einpacken und über Weihnachten nach Hause fahren wollten, rief die Redaktion aus Washington, D.   C. an, um ihnen mitzuteilen, dass das Schelfeis jeden Moment auseinanderbrechen würde. Zu diesem Zeitpunkt wusste sonst niemand davon; jemand vom National Snow and Ice Data Center, wo Wissenschaftler anhand von Satellitendaten die Ausbreitung und Dicke der polaren Eisschilde überwachten, hatte dem Sender heimlich einen Tipp gegeben. Die Konkurrenz schlief, und da die
James Clark Ross
nur einen Tag vom Schauplatz entfernt und ohnehin schon unterwegs war, hatten Gracie und ihr Team die Chance ergriffen, mit einem Exklusivbericht Schlagzeilen zu machen. Das British Antarctic Survey war so freundlich gewesen, sie für die Dauer der Berichterstattung an Bord zu nehmen, und arrangierte sogar, dass sie mit einem
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