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Menetekel

Menetekel

Titel: Menetekel
Autoren: Raymond Khoury
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Hubschrauber der Royal Navy von der Halbinsel hinübergeflogen wurden.
    Auch einige der Wissenschaftler beobachteten vom Deck aus, wie das Schelfeis zerfiel. Zwei hielten das Geschehen mit der Videokamera fest. Ein Großteil der Besatzung befand sich ebenfalls im Freien und starrte in ehrfürchtigem Schweigen zur Küste.
    Gracie wandte sich wieder der Kamera zu und justierte ihr Mikrophon. Immer wieder platzten unter lautem Tosen gewaltige Platten ab. In der Ferne ächzten die landeinwärts gelegenen Eismassen.
    «Der Zerfall wurde vermutlich von einer Vielzahl von Faktoren verursacht, Jack, aber der Hauptverdächtige in diesem überaus komplizierten Fall ist schlicht und einfach Schmelzwasser.»
    Wieder rauschte es, während das Signal über mehrere Satelliten reflektiert wurde und sechzehntausend Kilometer bis ins klimatisierte Nachrichtenstudio in Washington und zurück reiste. Dann war Roxberrys leicht verdutzte Stimme zu hören: «Schmelzwasser?»
    «Ganz genau, Jack. Wenn das Eis schmilzt, bilden sich auf der Oberfläche Wasserlachen. Das Schmelzwasser dringt in Ritzen im Eis ein, und je mehr Wasser versickert, desto stärker wirkt es als Keil und erweitert die Ritzen zu Spalten, die den Eisblock regelrecht untergraben. Das schafft Raum für weiteres Schmelzwasser, das schließlich das Zerbersten des ganzen Eisschelfs verursacht.»
    Die physikalischen Zusammenhänge waren simpel. Der höchste, kälteste und windigste Kontinent der Erde, ein Gebiet von der anderthalbfachen Größe der Vereinigten Staaten, wurde fast vollständig von einem Eispanzer bedeckt, der im Zentrum bis zu vier Kilometer dick war. Im Winter fiel so viel Schnee, dass die schweren Schneemassen sich ausbreiteten und wie eiskalte Lava in Richtung Küste flossen. Wenn der Eisstrom die Küste erreichte, floss er über die Landmasse hinaus, ohne zu versinken. Er reichte weit auf das Meer hinaus. Diese Ausdehnung wurde Schelfeis genannt. Schelfeise konnten an ihrem Ausgangspunkt anderthalb Kilometer dick sein und verjüngten sich bis zur Wasserkante auf immer noch beeindruckende vierhundert Meter, wobei sie inKlippenwänden endeten, die dreißig oder mehr Meter über dem Meeresspiegel aufragten.
    Im vergangenen Jahrzehnt hatte es einige beachtliche Abbrüche gegeben, allerdings nicht in dieser Größenordnung. Außerdem wurden sie nur selten live im Fernsehen übertragen. Normalerweise wurden sie erst mit großer Verzögerung entdeckt, wenn man die Satellitenaufnahmen auswertete und verglich. Obwohl Gracie nur einen kleinen Ausschnitt der auf der gesamten Meerseite berstenden Eisschelfe vor Augen hatte, war es ein ehrfurchtgebietender und beängstigender Anblick. In ihren zwölf Jahren als Fernsehjournalistin – eine Karriere, die sie gleich nach ihrem Abschluss in Politikwissenschaften in Cornell eingeschlagen hatte – war Gracie Zeugin etlicher Tragödien geworden, doch diese zählte definitiv zu den schlimmsten. Sie sah buchstäblich dabei zu, wie alles auseinanderfiel.
    «Dann lautet die große Frage also», kam es von Roxberry, «warum es gerade jetzt passiert? Ich meine, wenn ich das richtig verstanden habe, existiert dieses Schelfeis seit der letzten Eiszeit, und die ist jetzt wie lange her? Zwölftausend Jahre?»
    «Es passiert unseretwegen, Jack. Wegen der Treibhausgase, die wir freisetzen. Das lässt sich an beiden Polen beobachten, hier und oben in der Arktis, in Grönland. Das Ganze ist also nicht etwa Teil eines natürlichen Kreislaufs. Praktisch jeder Experte, mit dem ich gesprochen habe, geht inzwischen davon aus, dass sich das Abschmelzen beschleunigt und dass wir uns einem Kipppunkt nähern, ab dem sich der Prozess nicht mehr umkehren lässt – verursacht durch die vom Menschen erzeugte Klimaerwärmung.»
    Wieder barst eine riesige Eismasse und stürzte tosend ins Meer.
    «Steht denn zu befürchten, dass das Abbrechen und das Abschmelzen des Eises zu einem Anstieg des Meeresspiegels führen?», fragte Roxberry.
    «Nein, nicht unmittelbar. Der Großteil des Schelfeises schwimmt ja bereits auf dem Wasser, also hat es keine direkte Auswirkung auf den Meeresspiegel. Man muss sich das vorstellen wie einen Eiswürfel, der in einem Glas Wasser schwimmt. Wenn das Eis schmilzt, wird das Glas nicht voller.»
    «Nicht?»
    Gracie grinste. «Ich bin anscheinend nicht die Einzige, die sich nicht an ihren Physikunterricht erinnert.»
    «Sie deuteten aber an, dass es einen mittelbaren Effekt auf die Weltmeere gibt.» Roxberrys Tonfall strahlte
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