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Memoria

Memoria

Titel: Memoria
Autoren: Raymond Khoury
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Kultur zu lassen. Sie lehrten die Menschen den Gebrauch von Pflug und Axt und machten sie mit Bewässerungssystemen, neuen Feldfrüchten und Viehhaltung vertraut. All das trug entscheidend zur Verbesserung der Lebensbedingungen bei und brachte den Priestern die Achtung und Dankbarkeit der Eingeborenen ein.
    Hinzu kam, dass Eusebio, anders als der strenge Álvaro, ein warmherziger, leutseliger Mann war. Die Eingeborenen nannten ihn seiner bloßen Füße und der schlichten Kleidung wegen Motoliana, «armer Mann», und gegen Álvaros Rat hatte er den Namen angenommen. Er lebte die Leitsätze vor, die er predigte. Seine Bescheidenheit, sein vorbildlicher Lebenswandel und seine wohldurchdachten Äußerungen machten großen Eindruck auf die Eingeborenen. Bald stand er sogar in dem Ruf, Wunder zu tun.
    Es begann während einer Dürre, die die bevorstehende Ernte der Eingeborenen zu vernichten drohte. Eusebio riet ihnen, in einer Prozession zur Missionskirche zu ziehen, mit Gebeten und ausgiebigen Geißelungen. Bald regnete es in Strömen, und die Ernte fiel sogar besonders reichlich aus. Das Wunder wiederholte sich ein paar Jahre später, als die Region unter zu starken Regenfällen litt. Auch dieses Unheil wurde durch ähnliche Maßnahmen abgewendet, und Eusebios Ansehen wuchs. All das führte dazu, dass sich ihm allmählich Türen öffneten.
    Türen, die vielleicht besser verschlossen geblieben wären.
    Als die anfangs zurückhaltenden Eingeborenen sich ihm nach und nach öffneten, fühlte Eusebio sich immer mehr in ihre Welt hineingezogen. Was als Bekehrungsmission begonnen hatte, wurde zu einer aufgeschlossenen Entdeckungsreise für ihn selbst. Er fing an, Ausflüge tief in die Wälder und Schluchten der unwirtlichen Berge zu unternehmen, er wagte sich in Gegenden, in die noch nie ein Europäer vorgedrungen war, und begegnete Stämmen, die Fremde normalerweise mit einer Pfeil- oder Speerspitze empfingen.
    Von seiner letzten Reise kehrte er nie zurück.
    Fast ein Jahr nach seinem Verschwinden brach Álvaro, der das Schlimmste befürchtete, mit einer kleinen Gruppe Eingeborener auf, nach seinem verschollenen Freund zu suchen.
    So kam es, dass sie nun hier an einem kleinen Feuer vor dem strohgedeckten
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des Stammes, dem Gotteshaus der Ahnen, saßen und über das Unmögliche sprachen.
     
    «Mir scheint, Ihr seid für diese Leute eine Art Hohepriester geworden, oder täusche ich mich?»
    Álvaro war erschüttert über seine Erfahrung. Auch wenn das Essen seinem Körper wieder etwas Kraft zurückgegeben und das Feuer ihn gewärmt und seine Soutane getrocknet hatte, war er nach wie vor höchst aufgebracht.
    «Sie haben mir mehr gezeigt, als ich ihnen jemals zeigen könnte», erwiderte Eusebio.
    Álvaros Augen weiteten sich vor Schreck. «Aber – mein Gott, Ihr übernehmt ihre Sitten, ihre gotteslästerlichen Ideen.» Er schien geradezu verängstigt. Dann beugte er sich vor und zog die Augenbrauen zusammen. «Hört mir zu, Eusebio. Ihr müsst diesem Wahnsinn ein Ende machen. Sofort. Ihr müsst diesen Ort verlassen und mit mir zur Mission zurückkehren.»
    Eusebio sah seinen Freund an, und Mutlosigkeit befiel ihn. Ja, es war schön, seinen alten Gefährten wiederzusehen, und es freute ihn, Álvaro an seiner Entdeckung teilhaben zu lassen. Doch er begann sich zu fragen, ob er nicht einen gewaltigen Fehler begangen hatte.
    «Es tut mir leid, aber das kann ich nicht», sagte Eusebio ruhig. «Noch nicht.»
    Er konnte seinem Freund nicht erklären, dass er noch eine Menge von diesen Leuten zu lernen hatte. Dinge, die er nicht im Traum für möglich gehalten hätte. Er war überrascht gewesen, als er entdeckte – langsam, Schritt für Schritt und seinen tief verwurzelten Überzeugungen zum Trotz –, welch starke Verbindung die Eingeborenen zu ihrem Land hatten, zu den Lebewesen, mit denen sie es teilten, und zu den Kräften, die von ihm auszugehen schienen. Er hatte mit ihnen über die Erschaffung der Welt gesprochen, über das Paradies und den Sündenfall. Er hatte ihnen von der Fleischwerdung und der Sühne erzählt. Sie hatten im Gegenzug ihre Einsichten mit ihm geteilt. Und was er hörte, rüttelte ihn auf. Für seine Gastgeber standen die Welt der Sterblichen und die mystischen Sphären in Wechselbeziehung miteinander. Was ihm normal erschien, hielten sie für übernatürlich. Und was sie ganz selbstverständlich als normal – als die Wahrheit – betrachteten, kam ihm vor wie magische Vorstellungen.
    Zu
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