Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
Vom Netzwerk:
Arbeit.«
    Der Bärtige ergriff die Schattengestalt und zog sie näher heran. »Komm du erst mal hier rein, dann kann man reden.«
    Er trat mit dem vor Kälte zitternden Knaben ein. Ein scharfer Nordwind war inzwischen aufgekommen. Wirf mehr Holz aufs Feuer, Frau«, sagte der Bärtige. Das Kind hier zittert am ganzen Leibe.« Ja, wer ist denn das?« fragte die Frau verblüfft.
    »Allahs Gast«, gab der Alte zurück.
    »So einen Gast habe ich mein Lebtag noch nicht zu Gesicht bekommen«, sagte die Frau lächelnd.
    »Na, dann sich ihn dir mir an«, erwiderte der Alte. 
    Sie ging und kehrte mit einem Armvoll Holz zurück. Nach und nach wurde das Herdfeuer lebendig.
    Das Kind kauerte, ganz in sich zusammengekrochen, neben der Feuerstelle an der Wand. Glatte, von der Sonnenglut obenhin rötlich gesengte schwarze Haare fielen ihm tief in die Stirn über dem spitzen, ausgetrockneten, klein wirkenden Gesicht. Es hatte große, kaffeebraune Augen. Sein Körper war sonnenverbrannt. Man mochte sein Alter auf elf Jahre schätzen. Von den Pluderhosen war bis zur Kniehöhe nichts mehr übrig, der Stoff war im Distelgestrüpp geblieben, und seine Beine und Füße waren nackt. Die Beine waren blutverkrustet. Es zitterte immer noch, obwohl das Feuer jetzt angenehme Wärme verbreitete.
    »Du bist sicher hungrig, armes Kind«, sagte die Frau. »Wart, ich gebe dir gleich eine Suppe, iß sie.«
    »Ja«, erwiderte der Knabe.
    »Sie wärmt dich« sagte die Frau.
    »Dann werde ich nicht mehr so zittern«, sagte der Knabe.
    Sie füllte aus einem großen kupfernen Topf, der auf der Feuerstelle stand, eine verzinnte, kupferne Schale mit dicker Suppe, während die Augen des Kindes auf die dampfende Speise starrten. Sie stellte die Suppenschüssel vor ihn hin, drückte ihm einen Holzlöffel in die Hand: »So, nun iß schnell!«
    »Ja«, antwortete er.
    Der Mann meinte: »Aber nicht zu schnell, sonst verbrennst du dir den Mund.«
    »Nein, nein«, gab er zurück. Er lächelte.
    Auch der Alte lächelte. Die Frau war wohl ein wenig erstaunt darüber, denn ihr Mann sagte erklärend: »Seit er sich über die Suppe hergemacht hat, zittert unser kleiner Löwe nicht mehr.«
    »Ja, es hat ganz aufgehört«, bestätigte der Knabe. Nun lächelte auch die Frau.
    Die Feuerstelle war frisch mit Lehm verputzt. Aus Lehm war auch das Dach des Hauses, mit einer Reisigschicht an der Decke. Der Fußboden glänzte schwarz vom Ruß vieler Jahre. Das Haus bestand aus zwei Teilen, Wohnraum und Stall. Durch die Verbindungstür drang eine feucht-warme Luft herein, in der sich die Gerüche von frischem Rinderdung, Stroh und frischem Grün mischten. Jetzt traten der Sohn, die Schwiegertochter und die Tochter der alten Leute vom Stall in den Wohnraum. Der Knabe starrte sie entgeistert an.
    Der Alte wandte sich zu seinem Sohn: »Nun sag mal erst unserem Gast den Willkommensgruß.«
    Der Junge sagte mit ernster Miene: »Willkommen, Bruder. Was gibt's Neues?«
    »Danke«, erwiderte er ebenso ernst. »Nichts Besonderes.«
    Auch die Tochter und die Schwiegertochter sprachen ihren Willkommensgruß.  Das große Holzscheit auf dem Herd ging in helle Flammen auf.
    Der Knabe saß wieder zusammengekauert da. Die Flammen warfen gespenstische Schatten. Der Alte, mit dem Blick auf dieses Geisterspiel, mochte sich denken, was in dem Kopf des Kindes vorging. Schweigend und ohne sich zu rühren, starrte er lange Zeit auf die Schattenbewegungen, die mit den verbrennenden Holzscheiten ihre Richtung veränderten. Als er endlich den Blick wandte, spielte ein Lächeln über seine hageren, von dem weißen Bart viereckig umrahmten Züge. Seine Stirn war von der Sonne kupferfarben, und der Schein der Flammen ließ auch sein ganzes Gesicht und den Hals kupfern glänzen.
    Dann richtete sich der Alte mit einem Mal auf »Sag mal, Gast, wie heißt du eigentlich? Das hast du noch nicht verraten ...«
    »Sie nennen mich Ince Memed«, antwortete der Knabe.
    Als es nun doch heraus war, biß er sich ärgerlich auf die Lippen, ließ den Kopf sinken, als schäme er sich. Wie oft hatte er sich unterwegs seinen Spruch aufgesagt: »Sie nennen mich Mistik den schwarzen.« Dann muß es eben auch so gehen sagte er sich, warum eigentlich »Mistik«, wenn ich selbst einen Namen habe? Wer wird mich hier schon sehen ...
    Der Alte wandte sich zu der Schwiegertochter »Bring jetzt das Essen. Beeil dich!«
    Das Tischtuch wurde auf dem Boden ausgebreitet, und die Familie mit Ince Memed setzte sich im Kreise darum herum.
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher