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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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selbstverständlicher Leichtigkeit, als wolle er das ganze Spiel damit als Kinderei abtun.
    Dann kam die Regenzeit, der große Taurusregen, der zum Herbst gehört wie das Abfallen der Blätter. Oft gab es Gewitter. Geröll kollerte von dem dichtbewaldeten Berg über dem Dorf herab in die Ebene.
    An einem dieser Tage kam Memed zu Süleyman. »Onkel Süleyman, wie lange soll das noch so weitergehen? Es ist mir unangenehm. Ich esse dein Brot und tue nichts dafür!«
    Der Alte lachte. »Wozu die Eile? Nur langsam, es findet sich schon Arbeit für dich, Ince Memed.«
    Nach ein paar Tagen setzte der Regen aus. Auf nasse Felsen, Bäume und Äcker schien wieder die Sonne. Von der feuchten Erde stieg ein Dunst auf, der sich überall ausbreitete und mit dem der Dunggeruch vom Dorf herüberkam. Manchmal war die Sonne von silbrigen Dunstwolken verdeckt. Ince Memed saß auf einem Stein am Hauseingang und zog seine neuen Bauernschuhe an. Süleyman hatte sie für ihn genäht. Die Haut war noch feucht, an dem purpurroten Flaum darauf konnte man sehen, daß sie von einem jungen Stier war. Die Schuhe erfüllten ihn mit großer Freude.
    Süleyman trat zu ihm und beobachtete ihn, wie er mit geschickten Händen die langen Schnüre immer wieder herumschlang und dann hinten verknotete, wie es sich gehörte.
    »Na, Ince Memed, du bist ja ein wahrer Meister im Schnüren von Bauernschuhen«, sagte er.
    Memed hob lächelnd den Kopf. »Ich kann sogar Bauernschuhe nähen, Onkel Süleyman. Aber die hier hast du wunderschön gemacht.«
    Er erhob sich, trat zweimal mit seinem ganzen Körpergewicht auf, ging zehn, fünfzehn Schritte, dann wieder zurück. Verblüfft schaute er auf die Schuhe.
    »Sie sitzen wie angegossen.«
    Sie gingen zusammen ins Dorf. Unterwegs mußte Ince Memed immer wieder seine Schuhe betrachten. Mal schritt er schneller aus, mal blieb er stehen und prüfte genau ihren Sitz. Dann wieder beugte er sich hinunter und streichelte den Flaum auf der Haut.
    Süleyman nahm an dieser Freude Anteil. Er war mit seiner Arbeit zufrieden. »Ich sehe, sie gefallen dir, Memed«, schmunzelte er.
    »Sie sind wunderbar, sie passen zu meinen Füßen, als wären sie angewachsen.«
    »Siehst du, Ince Memed«, meinte Süleyman, »solche Bauernschuhe hätte dir keiner nähen können, wenn du in das Dorf gegangen wärst.«
    »Tragen sie in jenem Dorf keine Schuhe?« fragte Memed halb naiv, halb listig.
    Süleyman konnte nicht herausfinden, ob es sich um Schläue handelte oder nicht.
    »Doch, aber keine Bauernschuhe«, erwiderte Süleyman. »Ach so, so ist das.«
    Jetzt waren sie außerhalb des Dorfes, im freien Land. Memed atmete auf. Die Felder erstreckten sich bis an den Fuß des nächsten Berges. Sie schienen verlassen. Es gab keine Graudisteln, aber um so mehr Steine.
    Er blieb einen Augenblick stehen. »Wohin gehen wir eigentlich, Onkel Süleyman?«
    »Nur ein bißchen herumlaufen«, war die Antwort.
    Memed schwieg und fragte auf dem weiteren Weg nicht mehr. Seine neuen Bauernschuhe waren schon lehmbeschmiert. Er verfluchte den Lehm der seine Schuhe beschmiert hatte. Das Dorf lag schon sehr weit hinter ihnen, man konnte nichts mehr von ihm sehen als ein, zwei Rauchfahnen.
    »Schau, Ince Memed«, sagte Süleyman, »hier wirst du die Ziegen weiden. Du kannst bis da drüben hinübergehen. Aber siehst du dort den hennafarbenen Hügel? Über den darfst du nie gehen. Dort liegt nämlich euer Dorf. Sie können dich packen und mitnehmen.«
    »Nein, nein! Gut, daß ich es weiß.«
    Süleyman sagte: »So, das wär's, gehen wir nach Hause.«
    Dann kehrten sie um. Der Himmel hing voll schneeweißer Wolken. Zwischen den steinigen, grauen Feldern waren kreisförmige tiefgrüne Flächen eingesprengt. Das waren die Dreschplätze. An den Gräsern am Wege sah man hier und da Schnecken kleben.
    Plötzlich begann Süleyman wieder zu sprechen. »Sag mal, Ince Memed, hat er dich sehr gequält, der ziegenbärtige Abdi?«
    Memed blieb stehen, Süleyman auch. Memed sah wieder auf seine neuen Bauernschuhe.
    »Komm, wir setzen uns dorthin«, sagte Süleyman.
    »Gut«, meinte Memed, »setzen wir uns.« Dann begann er zu erzählen:
    »Schau, Onkel Süleyman, als mein Vater gestorben war, nahm uns Abdi Aga das bißchen weg, was wir hatten. Mutter durfte kein Wort sagen, sonst hätte er sie halb totgeschlagen, mich natürlich auch. Einmal hat er mich sogar mitten im Sommer an einen Baum gebunden und zwei Tage da draußen gelassen. Wenn Mutter nicht gewesen wäre ... Sicher
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