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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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schon kalt!« rief die Frau erneut.
    Süleyman stand auf, klopfte mit der Hand auf den Sattel und zwinkerte Memed lächelnd zu: »Komm, wir wollen unsere Suppe essen.« Es gab Weizengrütze. Ihr Geruch, gemischt mit dem der gekochten Milch, hatte sich angenehm im Raum verbreitet. Sie schmeckte Memed vorzüglich. Er dachte: »Ich werde sein Sohn sein, ja bestimmt.«
    Süleyman war jetzt mit den äußeren Arbeiten am Sattel fertig. Nun ging er daran, ihn innen mit Heu auszupolstern. Wie es durch seine langen, alten Finger glitt! Im hellen Glanz der Herbstsonne schimmerten golden die aus dem trockenen Heu unter den Händen des Mannes aufsteigenden Staubteilchen.
    »Hat er dich sehr gequält, der Abdi Aga?« fragte Süleyman unerwartet.
    Auf diese Frage war Memed nicht gefaßt. Er mußte seine fünf Sinne zusammennehmen.
    »Ja. Halb totgeschlagen hat er mich. Sogar barfuß pflügen mußte ich im Graudistelfeld, auch in eisiger Kälte. Noch dazu schlug er mich die ganze Zeit über halbtot. Einmal hat er mich so geprügelt, daß ich einen Monat liegen mußte. Er schlägt ja alle, aber mich am meisten. Mutter sagt, wäre Sari-Hodschas Amulett nicht gewesen, dann hätte ich damals sterben müssen.«
    »Ja, dann willst du wohl hierbleiben?« fragte Süleyman.
    »Ach, was soll ich in jenem Dorf? Es ist ja fünfzehn Tage weit von hier.
    Und wenn auch das Meer dort ist, was heißt das schon? Graudisteln gibt es dort keine, aber hier doch auch nicht. Ich bleibe hier. Hier kann mich ja auch keiner finden, oder? Değirmenoluk ist doch ganz weit weg von hier, nicht? Hier kann mich doch niemand finden, oder?«
    »Mensch, du bist aber ein närrischer Kerl, du! Değirmenoluk liegt gleich dort drüben hinter dem Berg! Weißt du denn nicht mehr welchen Weg du gekommen bist?«
    Memed, vor Schreck wie versteinert, riß die Augen weit auf. Schweiß perlte aus seinen Poren. All seine Hoffnung war mit einem Schlage dahin. Er wollte etwas sagen, konnte aber nur trocken schlucken. Als er Adler am Himmel ihre Kreise ziehen sah, starrte er ihnen stumm nach. Dann drängte er sich an Süleyman: »Ich will doch lieber in das Dorf gehen und dort der Sohn jenes Mannes werden ... Abdi Aga bringt mich um, wenn er mich hier findet.«
    Süleyman grollte: »Ja, geh nur und laß dich dort von jenem Mann als Sohn aufnehmen.«
    »Ach, wie schön wäre es, wenn ich dein Sohn sein und hierbleiben könnte.« Das kam halb schmeichelnd, halb jammernd heraus. »Das wäre ja so schön, aber ...«
    »Was aber?«
    »Wenn er mich finden würde ... Er hat keine Ehrfurcht vor Allah ... Er hackt mich in Stücke.«
    »Was können wir da tun?« murmelte der Alte. Er hob den Kopf von der Arbeit, blickte Memed ins Gesicht, das plötzlich eingefallen und runzlig wirkte wie ein verwelktes Blatt. In den großen Augen des Jungen war kein Glanz mehr. Memed drängte sich noch enger an Süleyman, ergriff seine Hand. »Ach ...«, sagte er, indem er den Alten mit flehendem Ausdruck ansah.
    »Hab keine Angst, Ince Memed« beruhigte ihn Süleyman. Memed lächelte, aber sein Lächeln war bedrückt, mit Furchtsamkeit gemischt. Als Süleyman mit dem Sattel fertig war, erhob er sich. »Höre, Ince Memed, ich muß jetzt in das Haus da drüben. Du kannst machen, was du willst. Geh dir mal das Dorf anschauen.«
    Memed ging ins Dorf. Es waren zwanzig, fünfundzwanzig Häuser. Ans Lehm gebaut, mit unbehauenen, willkürlich und kunstlos aufeinandergesetzten Steinen dazwischen, erhoben sie sich kaum mannshoch über dem Boden.
    Er schlenderte vom einen zum anderen Ende. Auf einem Dunghaufen sah er Kinder beim Köküç-Spiel. Ein paar Frauen sah er auch. Sie kauerten vor ihren Spinnrädern. Ein Hund strich mit eingekniffenem Schwanz furchtsam an einer Mauer entlang. Überall lagen Dunghaufen. So trieb er sich bis zum Abend von Haus zu Haus umher, und niemand fragte ihn, woher er käme, wohin er wollte. Bei ihm daheim wurde jeder Fremde sofort von einer Horde Dorfkinder umringt. In diesem Dorf war es ganz anders. Das beschäftigte ihn sehr.
    Als er wieder ins Haus kam, traf er auf Süleyman.
    »Na, was gibt's draußen, Ince Memed?« empfing ihn der Alte. »Du hast dich ja den ganzen Tag nicht blicken lassen!«
    »Alles in Ordnung«, antwortete er.
    Auch die folgenden Tage verbrachte er damit, das Dorf zu durchstreifen. Dabei freundete er sich mit ein paar Kindern an. Sie spielten Köküç. Er konnte es weitaus am besten. Aber ganz anders als Kinder sonst, prahlte er nicht damit. Er gewann mit so
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