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Memed mein Falke

Memed mein Falke

Titel: Memed mein Falke
Autoren: Yasar Kemal
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zugeschnürt. Er nahm sich zusammen, aber man sah, im nächsten Augenblick würde er die Beherrschung verlieren und in ein verzweifeltes Weinen ausbrechen.
    »Seit zwei Jahren ackere ich dieses Land, und die Graudisteln machen mich kaputt. Sie fressen mich ganz auf. Es ist, als ob einem wilde Hunde die Beine zerbeißen. Auf so einem Feld muß ich pflügen, und dabei prügelt mich der Aga noch jeden Tag halb tot. Erst gestern morgen wieder ... Ich habe geglaubt, ich ginge in Stücke. Aber dann bin ich durchgegangen. Und jetzt gehe ich in das Dorf. Dort kann mich der Abdi Aga nicht finden. Dort will ich für irgendeinen pflügen und sein Vieh hüten. Sein Sohn will ich sein, wenn ich darf.« Bei den letzten Worten sah er Süleyman gerade ins Gesicht.
    Seine Beherrschung war sichtlich am Ende. noch ein paar Worte, und der Sturm der Verzweiflung würde losbrechen.
    Süleyman hatte das wohl bemerkt, so vermied er es, weiter voll Abdi Aga zu sprechen. »Nun paß mal auf, Ince Memed, ich will dir was sagen. Du bleibst einfach hier bei mir.«
    Das Gesicht des Knaben leuchtete auf. Eine Welle von Glück überströmte ihn.
    Der Sohn fügte hinzu: »Das Meer ist auch zu weit für dich, Ince Memed, und das Dorf ist nicht leicht zu finden.«
    Die Arbeit an der Baumwolle war getan. Auf dem Boden wimmelte es von den winzigen schwarzen Baumwollkäfern, die beim Zupfen aus den Kapseln fallen. Neben der Feuerstelle breiteten sie eine kleine Lagerstatt aus. Memed sah schlaftrunken auf die Vorbereitungen. Süleyman hatte längst gemerkt, wie sich der Kleine nach einem Bett sehnte. Er bedeutete ihm mit einer Handbewegung, sich hinzulegen.
    Ohne ein Wort kuschelte sich Memed in die Decken hinein, zog die Knie bis zur Brust heran. Der ganze Körper schmerzte, als sei er in einem Mörser zerstoßen worden.
    In den Sekunden, bevor er einschlief, ging ihm seine neue Lage durch den Kopf. Jetzt hatte er wieder einen Vater. Sollten Mutter und Abdi Aga nach ihm suchen. Sollten sie suchen bis zum jüngsten Tag. Er würde nicht zurückkehren.
    Zwei Stunden vor Tagesanbruch zuckte er zusammen. Das war die Zeit, um die er jeden Morgen hinaus auf den Acker mußte. Er sprang von seinem Lager auf und trat schläfrig vor die Tür, um zu pinkeln. Auf einmal war er ganz zu sich gekommen, besann sich auf den gestrigen Abend, den weißbärtigen Süleyman. Ja, er war in Süleymans Haus. Wozu sollte er noch in das Dorf? Jetzt war er Onkel Süleymans Sohn.
    Jetzt würde er nicht mehr von hier fortgehen.
    Draußen war es bitter kalt. Zitternd kroch er wieder unter seine Decken, zog die Knie wieder an. Schön warm war es hier. Heute würde er gewiß bis zum Tagesanfang schlafen. Und schon war er wieder eingeschlafen.
    Über einem kalten Morgen ging die Sonne auf. Die Mutter stand schon an der Feuerstelle, nahm die Suppe vorn Feuer und rückte sie an den Herdrand, von wo ihr heißer, süßer Dampf aufstieg. Der Sohn war längst aufs Feld hinausgegangen. Süleyman saß an seiner Sattelarbeit, die er dort wiederaufgenommen hatte, wo er sie beim Dunkelwerden hatte unterbrechen müssen.
    »Süleyman«, rief die Frau, »iß, die Suppe wird kalt!«
    »Ist der Gast aufgestanden?« fragte Süleyman.
    »Laß das arme Kind. Es redet die ganze Zeit im Schlaf. Sicher hat es sich gestern zu sehr anstrengen müssen«, antwortete sie. »Dann laß ihn nur schlafen. Er muß gestern davongerannt, den ganzen Tag auf den Beinen gewesen sein, das konnte man ihm ansehen.«
    »Warum mag er wohl weggelaufen sein?«
    »Weil sie ihn zu sehr gequält haben.«
    »Wie schade um ihn, so ein schönes Kind. Können diese Gottlosen denn so einen Däumling nicht in Ruhe lassen?« seufzte die Frau.
    »Er kann hierbleiben, solange er will«, sagte Süleyman.
    In diesem Augenblick reckte sich Memed auf seinem Lager. Nachdem er sich gründlich die Augen gerieben hatte, blickte er zur Herdstelle, wo die Suppe im offenen Topf freundlich dampfte. Dann drehte er den Kopf nach der anderen Seite. Durch die Tür kam ein schnurgerader, wie mit dem Messer geschnittener Sonnenstrahl. Sofort sprang Memed hoch.
    Süleyman bemerkte seine nervösen Bewegungen und rief ihm zu: »Keine Angst, mein Kind! Du darfst ruhig weiterschlafen, hier tut dir keiner was.«
    Memed nahm die kupferne Wasserkanne vom Herd und trat vor das Haus. Nachdem er sich das Gesicht gewaschen hatte, ohne mit Wasser zu sparen, stellte er sich neben Süleyman, um ihm bei der Reparatur der Sättel zuzusehen.
    »Kommt, eßt eure Suppe, sie ist
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