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Melville

Melville

Titel: Melville
Autoren: Natalie Elter
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Doch dabei
komme ich so ins Schwanken, dass ich ganz hinfalle. Das fragile
Geschirr zerbricht unter der Wucht des Aufpralls. Ich höre wie eine
meiner Tanten erschrocken aufschreit und sehe aus den Augenwinkeln,
wie sich alle Köpfe zu mir drehen und jegliches Gespräch verstummt.
Ich bin ganz still, bewege mich nicht, da merke ich auch schon, wie
die schweren Schritte meines Vaters auf mich zu gehen. Ich verstecke
meinen Kopf unter meinen Händen, ziehe meine Knie eng an den Körper
und versuche mich vor seiner Wut zu schützen. Er greift an meinen
Arm, zerrt mich hoch und schreit
    „Das
war eine Tasse vom Lieblingsgeschirr deiner Mutter!”. Groß fliegt
seine Hand auf mich zu, unerwartet und plötzlich trifft er mich.
Mein Kopf fliegt zur Seite und fast falle ich wieder zu Boden. Meine
Wange glüht und mir ist ein wenig schwindelig, doch ich schaffe es,
nicht vor meiner gesamten Familie zu weinen.
    „Geh
auf dein Zimmer, Melville! Und denke darüber nach, was du getan
hast! Ich bin sehr enttäuscht von dir!”, schreit er mich wieder
an. Und kurz nur blicke ich in die Gesichter meiner Verwandten, wie
sie leicht erschrocken zu mir sehen. Meine Tante mütterlicherseits,
wie sie ihre eigene Tochter auf dem Schoß trägt und fest umarmt.
Der Vater meines Vaters, der bestätigend mit dem Kopf nickt. Alle
sehen mich, schwach und klein. Ich gehe ganz vorsichtig, immer noch
leicht benommen von dem Schlag, aus dem Zimmer und hebe schleppend
einen Schritt nach dem anderen über die Treppenstufen. Bekomme noch
mit, wie mein Vater ein Dienstmädchen anweist die Bruchstücke zu
entfernen und den Teppich schnell vom Kakao zu reinigen, bevor der
Fleck sich festsetzt.
    „Was
für ein Schussel.”, höre ich meinen Großvater noch sagen, bevor
ich außer Hörweite in meinem Zimmer verschwinde.
    Die
Feier ist für mich damit beendet.

1982

    Zu
Weihnachten habe ich einen Hamster geschenkt bekommen. Klein, weiß
und ängstlich sitzt er in seinem Käfig, während ich ihn neugierig
betrachte. Ich bin mir nicht sicher, warum ich ihn überhaupt
geschenkt bekommen habe. Ich habe mir kein Haustier gewünscht.
    Doch
eines habe ich bekommen, über das ich mich wirklich gefreut habe.
Das alte Schnitzmesser meines Großvaters, doch nachdem ich mir
zweimal beim Schnitzen in die Hand geschnitten habe, ließ ich es
lieber. Also sitze ich hier, das Messer in der Hand und den Hamster
im Blick, während ich mich nachdenklich auf meinem Schreibtischstuhl
drehe.
    Ich
öffne langsam den Käfig und er versteckt sich in seinem Häuschen.
Doch ich hebe sein Versteck einfach hoch, damit er sich mir nicht
entziehen kann. Ich weiß nicht einmal warum, aber ich bewerfe ihn
ein wenig mit dem Heu in seinem Käfig. Er schüttelt sich und
beginnt von einer Ecke in die andere vor mir davon zu rennen.
    Ich
greife nach ihm und da er mir mehrmals dabei entwischt, werde ich
wütend. Kräftig packe ich ihn, er fiept verängstigt. Ich hebe ihn
auf den Schreibtisch und halte ihn fest in meiner linken Hand. Ich
spüre wie er sich wehrt, sich panisch windet und immer wieder
kläglich schreiende Geräusche abgibt. Ich betrachte ihn eingehend,
die rosa Schnauze, die kleinen Knopfaugen.
    Wie
unter einem Zwang, greife ich mit meiner rechten Hand nach dem
Messer. Und es sind nur ein paar Berührungen mit der Spitze des
Messers nötig, um zu hören wie er leidet. Es gefällt mir. Doch
dadurch tropft auch sein Blut auf das helle Holz des Tisches.
    Ich
bin selber so erschrocken, dass ich beides loslasse, Messer und
Hamster. Er versucht mit seinen Wunden über die Tischplatte zu
flüchten. Eine deutliche Blutspur zieht er hinter sich her und ich
bekomme plötzlich rasende Angst, dass ich die Spuren nicht werde
beseitigen können. Vater wird mich dafür bestrafen, besonders wenn
er auch noch auf den Teppich flüchten sollte. Doch er ist so schnell
und die beschmutzte Fläche wird immer größer, dass ich fast aus
Reflex das Messer wieder ergreife und die Klinge gänzlich durch
seinen Körper in den Tisch ramme. Dann ist alles wieder still.
    Ich
setze mich hin und betrachte mein Werk. Sehe diesen kleinen toten
Fellball, verendet durch meine Hand. Jetzt ist er endlich leise und
ich allein habe dafür gesorgt! Er konnte sich nicht wehren.
    Ich
ziehe das Messer wieder heraus und werfe den Hamster zurück in das
Heu. Schnell wische ich die Spuren auf und mein kleines Herz schlägt
wild vor Aufregung. Es ist verboten, doch die Flecken sieht man schon
bald nicht mehr, keiner wird
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