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Melville

Melville

Titel: Melville
Autoren: Natalie Elter
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ihm nicht so viele Sorgen bereite?
Versuch doch einfach nur das zu machen, was er will, dann lässt er
dich sicher auch in Ruhe.”.
    „Du
hast doch keine Ahnung. Du bist ja bald schön weit weg, auf deinem
blöden College und lässt mich hier ganz alleine in Bristol... mit
ihm.”.
    „Was
soll ich denn tun, Melville? Die Schule abbrechen und hier bleiben...
und dann?”.
    „Ach,
was weiß ich... ist eh alles egal.”.
    Er
verstummt und nach einigen Minuten, in denen wir uns ausgiebig
anschweigen, steht er auf und geht Richtung Tür.
    „Tue
mir den Gefallen und versuche ihn nicht zu wütend zu machen...
okay?”.
    „Hau
endlich ab!“ und dann höre ich nur, wie sich meine Tür öffnet
und wieder schließt.

1985

    Die
Nächte sind lang. Die einzigen Momente der Ruhe; die Stille liegt im
Haus und ich fühle mich sicher. Dann sitze ich auf meinem Bett,
betrachte den hellen Mond oder die Wolken und frage mich, ob es nicht
auch ein anderes Leben für mich geben kann. Die Hände um meine Knie
geschlungen versuche ich mich auch an meine Mutter zu erinnern, doch
mit den Jahren wird sie immer mehr zu einem Schatten, zu einer
blassen Ahnung in meinem Geist.
    Manchmal
wirkt der Mond so groß und nah, als könnte ich ihn greifen. Er ist
so viel ehrlicher als die Sonne, man sieht ihn manchmal auch tagsüber
und dann mahnt er uns an die kommende Nacht zu denken. Die Sonne
scheint ungnädig, egal wie schlecht es einem geht. Die anderen
Kinder lachen und spielen auf dem Schulhof, doch ich sitze im
Schatten, blass und mit tiefen Augenringen. Ich ertrage die Hitze und
die Zuversicht nicht. Mir ist kalt.
    Ich
wärme mich unter der Decke, wenn das Mondlicht im Schnee und Eise
glitzert. Das nächtliche Schauspiel der Geborgenheit vor meinem
Fenster. Ich wünschte, ich wäre stark und hätte ein Talent, das
mich von hier wegbringen könnte. Irgendwas.
    Doch
ich habe keine Talente, bin nichts Besonderes. Vater sagt es immer
wieder und es ist sicher auch der Grund, warum er mich hasst und
Jonathan nicht. Ich fühle mich so wertlos, dass ich mich hin und
wieder selber frage, warum er mich überhaupt noch beachtet.
    Ich
weine in diesen Nächten nicht, ich weine genug auf seinen Knien. Ich
fühle mich nur eins mit der Dunkelheit und ich kann sicher sein,
dass niemand mich hierbei stören wird.
    Dann
hauche ich an die kalte Fensterscheibe, zeichne vorsichtig Mond,
Wolken und Bäume nach, damit ich es auch tagsüber sehen kann, falls
ich wieder in mein Zimmer gesperrt werde.

    Ich
habe fast aufgehört zu reden, doch es fällt niemandem wirklich auf.
Meine Schulklasse ist so groß, dass es der Lehrer nicht bemerkt.
Jonathan hat viele andere Freunde und verbringt seine Freizeit
draußen, ich sehe ihn nur noch zum Abendessen, wenn wir schweigend
unsere servierten Mahlzeiten kauen. Mein Vater redet nur in diesen
Momenten der verhassten Zweisamkeit mit mir und da das Personal
ständig wechselt, habe ich keine Bindung zu ihnen aufgebaut. Und
jetzt wird es erst recht nicht passieren. Ich antworte, wenn ich
gefragt werde. Immer darauf bedacht, keinen Widerstand zu bieten und
mich höflich aus der Situation entziehen zu können. Ich lebe in mir
selbst und das ist der friedlichste Ort den ich kenne. Der Einzige an
dem niemand sein kann der mir wehtut.
    Es
ist diese Welt, in der ich manchmal, wenn ich mich extrem schlecht
fühle, anderen wehtun kann. Ich mir vorstelle, wie ich die Hand
erhebe und mächtig bin. Die Angst auf anderen Schultern lastet und
sie sich mir nicht entziehen können. Denn das ist die Form von
Erhabenheit die ich kenne und auch anstrebe. An der anderen Seite des
Rohrstocks sein, ein Gefühl der Überlegenheit. Zu wissen, dass man
es geschafft hat.
    Kein
Opfer mehr. Nie mehr!

1988

    Als
auch ich endlich an ein College kann, hört mein Vater auf mich
körperlich zu züchtigen. Beim letzten Mal passte ich kaum mehr auf
seine Knie, obwohl auch er sehr groß ist und dazu noch besonders
kräftig. Er hatte mich dafür bestraft, dass ich ohne Anzuklopfen in
sein Büro ging. Ich brauchte Papier für meine Hausaufgaben. Ich
lerne viel, verstecke mich hinter Büchern in meinem Zimmer und
versuche mich somit vor den dunklen Gefühlen und seiner Wut zu
schützen. Er kann mich nicht für Lernen bestrafen. Meine Bildung
wurde zu meiner wichtigsten Aktivität und besonders gerne tauche in
die Welt der Zahlen und Formeln ab, denn sie bieten ehrliche
Sicherheit, wo sonst keine ist.

    Ich
war unbedarft hineingegangen und unterbrach meinen Vater
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