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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer
Autoren: Charles R. Maturin
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wieder umklammerte er Johns Hand und bat ihn, er möge ihm doch die Sterbesakramente spenden. »Denn wenn ich nach dem Pfaffen schicke, wird er es mir berechnen, und ich vermag doch nicht zu zahlen, ich kann es nicht, ich kann nicht. Alle sagen, ich sei reich, so sieh dir doch nur diese Decke an. – Aber das soll mich nicht stören, wenn ich nur meine Seele retten kann.« Und, schon phantasierend, fügte er hinzu: »Wirklich, Doktor, ich bin ein bettelarmer Mann. Noch nie im Leben habe ich einen Schwarzrock herbemüht, und auch von Ihnen will ich nichts als die Erfüllung zweier ganz bescheidner Bitten, wirklich, für Sie so gut wie nichts – erretten Sie doch meine Seele, und« – dies raunte er nur noch – »sehen Sie zu, daß ich auf Pfarrkosten bestattet werde – ich habe nicht genug, um mir ein eigenes Begräbnis leisten zu können. Jederzeit und allen gegenüber habe ich ohn Unterlaß beteuert, daß ich bettelarm sei, aber je mehr ich davon hergemacht habe, desto weniger Glauben habe ich gefunden.«
    John, zutiefst angewidert, zog sich hierauf von dem Bett zurück und nahm in der entferntesten Zimmerecke Platz. Die Weiber befanden sich sämtlich wieder im Raum, welcher nunmehr in nahezu völliger Finsternis lag. Der alte Melmoth schwieg erschöpft, und eine Zeitlang herrschte Totenstille im Zimmer. Und inmitten dieser Stille sah John, wie die Tür sich auftat und den Blick auf eine Gestalt freigab, welche ihre Augen durch das ganze Zimmer schweifen ließ, worauf sie sich lautlos und unaufgefordert zurückzog, freilich nicht rasch genug, als daß John in ihren Zügen nicht das lebendige Ebenbild des bewußten Porträts erkannt hätte! Zunächst war es ihm, als müßte er vor Entsetzen aufschreien, aber der Atem versagte ihm. Schon erhob er sich, um der Erscheinung nachzusetzen, aber eine sekundenschnelle Überlegung ließ ihn davon absehen. Denn was wäre wohl absurder gewesen, als sich durch eine bloße Ähnlichkeit zwischen einem lebenden Menschen und dem Bildnis eines Toten ins Bockshorn jagen zu lassen! Zwar war die Ähnlichkeit zweifelsohne stark genug, um ihn auch noch in der Düsternis dieses Raumes zu irritieren, doch war es unzweifelhaft nichts als eine Ähnlichkeit. Sie mochte ja auf einen alten Mann von verdrossener Gemütsart, absonderlichen Gewohnheiten, sowie von hinfälliger Konstitution ihre Wirkung nicht verfehlen, doch kam John alsbald zu dem Schluß, derlei Sinnestrug nicht den nämlichen Einfluß auf die eigene Person einzuräumen.
    Er war eben dabei, sich zu solchem Schluß zu gratulieren, da tat die Tür sich zum andern Mal auf, herein trat dieselbe Gestalt und winkte und nickte John mit einer Vertraulichkeit zu, welche etwas Entsetzenerregendes an sich hatte. Jetzt sprang John auf seine Füße, diesmal fest entschlossen, den Eindringling zu verfolgen, doch ward solche Absicht schon im Entschluß erstickt durch die schwachen, obschon kreischenden Aufschreie des Oheims, welcher sich gleichzeitig sowohl gegen seinen Tod als auch gegen seine Wirtschafterin zur Wehr setzte. Das bedauernswerte Weib, um ihres Herrn Reputation nicht minder besorgt denn um die eigene, war nämlich verzweifelt bemüht, dem sich hartnäckig Sträubenden ein sauberes Hemd sowie eine ebensolche Nachtmütze überzuziehen, und der alte Melmoth, seiner Sinne eben noch mächtig genug, um zu gewahren, daß man im Begriffe stand, ihm etwas wegzunehmen, ließ nicht ab, mit ersterbender Stimme um Hilfe zu rufen: »Sie rauben mich aus – rauben mich aus in meiner letzten Stunde – berauben einen Sterbenden. John, willst du mir denn nicht beistehen – ich werde als Bettler sterben, sie nehmen mir mein letztes Hemd – ich werde als Bettler sterben.« – Und der Geizhals starb.

ZWEITES KAPITEL
    Die ihr wandert, stöhnt und grohnt
    Um das Haus, drin ihr gewohnt.
    Rowe

     
    Einige Tage nach dem Leichenbegängnis wurde der Letzte Wille vor Zeugen eröffnet, und es stellte sich dabei heraus, daß John zum Alleinerben von seines Oheims Besitztümern eingesetzt war, welche, obschon ursprünglich nur von mäßigem Werte, durch des Verstorbenen Raffgier und Knauserei zu beträchtlichem Reichtum angewachsen waren.
    Der Testamentsvollstrecker, welcher den Wortlaut der letztwilligen Verfügung verlas, setzte danach hinzu: »Es sind da noch einige Zeilen an den Rand des Pergaments gesetzt, welche nicht eigentlich zu des teuren Verblichenen letztem Willen zu gehören scheinen, da sie weder in der Form eines Kodizills gehalten, noch
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