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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer
Autoren: Charles R. Maturin
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sie hinein verschwunden. »Mit dem Verfall, und einzig allein mit ihm, schrumpft das Geschehen und geht ein in den Schauplatz.« [33]
    Die Denkmäler in den Landschaften der schwarzen Romane haben an solcher Magie teil, aber sie sind mehr als Embleme, sie sind bewohnt oder besser: beseelt. In ihnen rasseln Ketten, wird das unerhörte Verbrechen geplant, geht Luzifer selbst um oder läßt sich vertreten, zeigen sich die Konturen der Abgeschiedenen. Wind fegt durch die Gänge, bläst die Lichter aus, läßt die Türen in ihren rostigen Angeln kreischen und seufzt von rebellischer und von resignierender Emotion. Das Individuum hat den Schauplatz betreten, ihn mit seinen Ängsten und Aggressionen bevölkert.
    In »Die Ruinen oder Betrachtungen über die Revolutionen der Reiche und das natürliche Gesetz« (1791) des empfindsamen Republikaners Volney tritt ein bleicher Schatten aus den Trümmern von Palmyra, um den philosophischen Betrachter aus der Melancholie seines Sinnierens über die Hinfälligkeit menschlicher Bemühung zu reißen, ihn zur tätigen Verantwortung zu mahnen und die Versöhnbarkeit von natürlichem und humanem Gesetz zu verheißen. Die Epiphanie des bleichen Melmoth in der Ebene von Valencia ist der genaue Kontrapunkt. Sein desperates Lachen gellt über einer Szene von wilder Sinnlosigkeit, bestätigt den Triumph blindwütiger Natur über die Werke und Hoffnungen der Menschen.
    In der gotischen Konvenienz – und bei Maturin insbesondere – sind zwei Elemente zueinander angelegt, gehen auseinander hervor, die sich wenige Zeit später ganz voneinander trennen sollten: Panorama und ungestüme Aktion, die verzweigten, detailreichen Gewölbe der Schlösser und die Konvulsionen der Empfindung, Ding-Ungeheuer und seelische Chimären. Der psychologische Roman hält sich an die letzten; schon bei Charles Brockden Brown, erst recht bei Sheridan Le Fanu und vielen anderen danach sind die gotischen Szenerien ganz nach innen genommen, die Monstren zu Wahrzeichen seelischer Zustände geworden. Das Sortiment zaubrischer Fragmente aber, die alten übermächtigen Accessoires, präludieren der aufs schlimmste antiquarischen Gesinnung des fortschreitenden 19. Jahrhunderts, schließlich der Auflösung von Geschichte in die Warenwelt der Industrie, in das Gerumpel der Kaufhäuser.
    Maturin hat den ertragreichen Widerspruch gotischer Prosa zum Prinzip seiner Konstruktion, seines Stils gemacht. Obwohl das Interesse für den seelischen Vorgang, den Zusammenhang von Schuld und Verdrängung, von Trieb und Aggression deutlich dominiert (»Emotions are my events« hat er geschrieben), manifestiert sich doch immer die Angst, die von innen aufsteigt, auch in äußerer Bedrohung. Jeder Exzeß, jede Gewaltsamkeit ist gleichsam eingelassen in ein Gefüge, welchem kein Ornament, keine Erläuterung, keine Fußnote fehlt. Wilde Bewegung geht in ein lebendes Bild ein und umgekehrt. Melmoth kann ebenso aus dem Gewittersturm erscheinen wie aus dem Arsenal eines kulturhistorischen Feuilletons. Der Roman wechselt ständig zwischen Panorama und Expression, zwischen Verzögerung und Beschleunigung. Gerade wenn die Handlung am bewegtesten ist, scheint sie oft am ehesten erstarren zu wollen in ein Tableau des Schreckens, Mitunter entsteht ein regelrechtes schwarzes Museum, in dem der Betrachter wie in der »Geschichte von Guzmans Familie« vor immer neue Bilder des Grauens und der Erbärmlichkeit geführt wird. Maturins Stil, der Scott und viele mit ihm begeistert hat, verrät die Beredsamkeit des Predigeramtes, er ist trocken und aufgeregt, ausholend und eindringlich, pathetisch und analytisch. Varma hat einiges getroffen, wenn er schreibt: »Maturins Gebrauch von Gleichnissen ist so erklärend wie ornamental.« [34]
    Dieter Sturm

Die Romane [40]
    Fatal Revenge; or, The Family of Montorio     1807
    (Der erste Teil des Titels wurde vom Buchhändler um der Attraktivität willen zugefügt.)
    The Wild Irish Boy     1808
    (Als Gegenstück zu »The Wild Irish Girl« der Lady Morgan)
    The Milesian Chief     1812
    Women; or, Pour et Contre     1818
    (Über die Rigidität, die kommerzielle Berechnung der calvinistischen Mittelklasse)
    Melmoth the Wanderer     1820
    The Albigenses     1824
    (Maturins Versuch, der bereits dominierenden Vorliebe des Publikums für den historischen Roman nach vielen Mißerfolgen Rechnung zu tragen, ohne sein Generalthema: die Schrecken der kirchlichen und weltlichen Despotie preiszugeben.)
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