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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer
Autoren: Charles R. Maturin
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konstatiert mit ihrer Trope, auf Endgültiges hinauswill. Das »und«, die Kopplung beider, bricht die Reverie des ersten Teils in sachliche Hoffnungslosigkeit um, läßt sie erkalten, erstarren.
    Diese Figur der Rede, die in »Melmoth der Wanderer« immer wiederkehrt und von der mehr zu handeln sein wird, gibt zugleich etwas an vom Ort des Buches in der Historie des bürgerlichen Romans, des bürgerlichen Gemüts. »Melmoth« ist Teil und in gewissem Sinne Aufhebung einer literarischen Tradition, als deren erster prägnanter Ausdruck Horace Walpoles »The Castle of Otranto« gilt, die aber weiter zurückreicht, etwa bis zu Miltons »Paradise Lost«, also mitten in die erste Machtergreifung der Bourgeoisie, und dahinter zurück.
    Die Geschichte der gothic novel, wie sie mit Walpole populär wurde und ihren Namen fand, ist am deutlichsten beschreibbar anhand der Veränderungen in ihrer Empfindungswelt und anhand der Metamorphosen ihrer Helden. Der Roman, legitimes Kind des Rationalismus und der bürgerlichen Emanzipation, war schon in seiner sentimentalen Verfassung von Phantomen durchgeistert, die er vergebens zu bannen versuchte. Unter der Oberfläche seiner Moralität, die sich in reinlichen Opfern wie dem von Richardsons Clarissa zu bestätigen trachtete, floß ein Strom, der bald alle erzwungene Versöhnung von Gefühl und Gesetz, von Natur und Gesellschaft hinwegreißen sollte. »Zwar betrat zugleich mit dem Roman die Libido die Bühne der europäischen Kunst, aber sie zeigt sich mit niedergeschlagenen Augen und gefalteten Händen – in den weißen Gewändern einer Jungfrau.« [28] Die fromme, die devote Attitüde sollte nicht lange bleiben. Schon Diderot hatte bei Richardson als Kriterium eines tiefen Realismus verstanden, daß er »... mit der Fackel tief in die Höhle (der Psyche) hinein (leuchtet) ... Er haucht das erhabene Phantom an, das am Eingang der Höhle steht, und der häßliche Mohr, den es verhüllt hat, kommt zum Vorschein«. [29]
    Der häßliche Mohr war bald ganz heraus. Die Philosophen und Praktikanten der Aufkärung, die keinen Schatten mehr dulden, alle Fesseln sprengen wollten, leuchteten die Höhle ganz und gar aus, setzten Chimären frei, die seit Jahrhunderten im Finsteren gehalten worden waren und deren Existenz man lange schon zu bezweifeln begonnen hatte. Gefühl erwies sich als mehr denn Sentiment, Gewalt als mehr denn aristokratische Willkür, die Wissenschaft als endlich oder schlimmer noch: als unendlich, aber wieder ins Dunkle tauchend, der Tod als unabschaffbar. Die ideologischen Kulissen des Christentums waren beiseite geschoben, der Blick ging ins Freie, aber die Landschaft war weniger freundlich als erwartet, ihr Horizont keineswegs nur licht. Und wo man sich selbst schließlich gegenübertreten konnte, gab es nicht weniger Grund zum Entsetzen, so wie sich die Aufklärung auf ihrem Scheitelpunkt bei de Sade ins eigene Antlitz sah und erschrak. In der errungenen Freiheit, die unerhörte Anstrengung aufrief, gediehen also alte, für abgetan erklärte, und neue, nie vermutete Ängste. Der Vatermord an der Hierarchie des Feudalstaates und des Himmels, Befreiung wie noch nie zuvor, provozierte Schuldgefühle wie noch nie zuvor.
    Nicht so unbekümmert wie Walpole haben Ann Radcliffe und die Ihren Mittel und Zwecke genau zu kalkulieren versucht, zurückgreifend auf Begriffe und Hypothesen, die schon in den Jahren zuvor entwickelt worden waren. Edmund Burke hatte in seinem Traktat »Vom Erhabenen und Schönen« 1756 als erster ausführlich über den Zusammenhang von Dunkelheit, Schrecknis, Leidenschaft und Erhabenheit räsoniert und der gothic novel gewissermaßen die Kategorien vorgegeben, die bald bis zur Spitzfindigkeit ausgefaltet und unterschieden wurden. Anna Laetitia Aikin sortierte 1773 in dem Essay »On the pleasure derived from the Objects of Terror« die »Objects of Terror« in zwei Klassen, in die des »natürlichen Schreckens«, in den Umständen des täglichen Lebens aufs körperlichste erfahrbar, und in die des »künstlichen«, dessen Erscheinung, wunderbar und unglaublich, ein staunendes Entsetzen auslöst. »Mixed Terror« sei derart das Rezept des »Castle of Otranto«, das Schreckliche dem Wunderbaren verbunden. Ann Radcliffe ist noch präziser in ihrer Klassifikation. Ihr steigert sich der Schrecken von den »glooms of apprehension«, Ängsten natürlichen Ursprungs (wie eine dunkle Nacht, eine unheimliche Naturszene, auch der Körper eines Ermordeten) über die
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