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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer
Autoren: Charles R. Maturin
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»Herrendienste« geleistet zu haben. Weiter voranschreitend auf der morastigen Straße, welche einstmals die Zufahrt gewesen war, konnte unser Ankömmling im düsteren Lichte dieses Herbstabends bemerken, daß die Zeichen des Verfalls sich gemehrt hatten, seit er zum letzten Male hier gewesen: Weder Umzäunung noch Hecke umgaben das Grundstück, eine aus losen Steinen aufgeschichtete Mauer ersetzte sie, und in den zahlreichen Lücken wucherten Stechginster und Dornengestrüpp. Weder Baum noch Gesträuch belebten den Rasen, und dieser selbst war zur Viehweide verwildert, auf welcher einige wenige Schafe ihr kärgliches Futter suchten, inmitten der Feldkiesel, Disteln und der schorfig-nackten Erde, daraus hier und dort ein armseliges Büschel Gras wuchs.
    Das Gebäude selbst stand scharf umrissen vor der Düsternis des Abendhimmels, von keinerlei Seitenflügeln oder Wirtschafts-Anbauten, Baumbestand oder Strauchwuchs gesänftigt, und John, nachdem er voll Melancholie auf die grasverwachsenen Stufen und die verschalten Fenster gebückt, faßte sich ein Herz, um an die Tür zu pochen. Es gab zwar keinen Türklopfer, doch herumliegende Feldsteine im Überfluß, und so hämmerte John mit einem von ihnen so lange gegen das Holz, bis das wütende Bellen eines wahren Ungetüms von Dogge »mit glühenden Augen und bleckenden Zähnen«, welches beständig seine Kette zu sprengen drohte, und dessen Geheul und Geknurre sowohl Hunger als auch Wut verrieten, unsern Angreifer bewog, von der Belagerung des Haupteinganges abzulassen und sich zu jener wohlvertrauten Seitentür zu begeben, welche zur Küche führte. Hinzutretend gewahrte er einen Lichtschimmer hinter den Scheiben und legte zweifelnd seine Hand auf die Klinke. Sobald er jedoch die Gesellschaft dort drinnen erkannte, trat er ein mit dem Schritt eines Mannes, der über die Art seines Empfanges nicht länger im Zweifel ist.
    Rund um ein Torffeuer saßen die alte Wirtschafterin, etliche Gevattern (will sagen Erscheinungen, wie sie, anläßlich eines Trauerfalles oder freudigen Ereignisses, sowohl zu Ehren des Hausherrn, als auch aus Wertschätzung für die Familie, in jeder gastfreien Küche der Nachbarschaft kauend, zechend und herumlungernd anzutreffen sind) sowie ein altes Weib, in welchem John sogleich die »weise Frau« dieser Gegend erkannte – eine runzlige Sibylle, die ihr kümmerliches Dasein aus der Angst, der Unwissenheit und den Gebresten all der Leute fristete, welche ebenso elend waren wie ihre greise Helferin.
    Und nun trat John in die Gesellschaft ein: erkannte den und jenen, fand Mißvergnügen an den meisten – und mißtraute allen. Die alte Wirtschafterin empfing ihn überschwenglich: ihn, der seit je, so sagte sie, ihr »Weißschopf« nur gewesen (doch sei hier angemerkt, jettschwarz von Kind auf war sein Haar). Und sie versuchte dann, halb segnend und halb zärtlich, mit welker Hand ihm übers Haupt zu streicheln, bis die Vergeblichkeit solchen Bemühens sie zu der Einsicht zwang, daß dieses Haupt, seit sie’s das letzte Mal liebkost, dem Gunstbeweis um gut ein Fuß entwachsen war. Die Männer in der Küche, mit der den Iren eingeborenen Ehrerbietung für den Mann von Stand, hatten bei Johns Eintritt sich sämtlich erhoben (mit viel Stuhlbeingeklapper auf den zerbrochenen Fliesen) und wünschten Seiner Gnaden »Tausend Jahre und ein langes Leben! Und wollten Seine Gnaden nicht eine kleine Herzstärkung gegen den Kummer zu nehmen geruhen? »Dies gesagt, streckten sich ihm auch schon fünf, sechs gerötete, knochige Hände mit Gläsern voll Whisky entgegen. Indes verharrte die Sibylle die ganze Zeit über ohne ein Wort in der geräumigen Kaminecke und paffte mit verdoppeltem Eifer wahre Rauchschwaden aus ihrer Tonpfeife vor sich hin. John lehnte den angebotenen Alkohol höflich ab, ließ sich aber die Freundlichkeiten der alten Wirtschafterin wohl gefallen, schielte mißtrauisch nach dem runzligen Zottelweib, welches die geräumige Kaminecke mit Beschlag belegte, und starrte dann auf den Tisch, der nun freilich andere Genüsse zu bieten hatte, als John, ›zu Seiner Gnaden Zeit‹, zu sehen gewohnt gewesen.
    Der »wahre Amphitryon« des Gelages schien hier der Whisky zu sein (heimlich gebrannt, jedoch echt, nach Kräutern riechend und Rauch, atmend von Hohn auf alle Steuereinnehmer): Jedermann war voll des Lobes darüber, und je mehr einer trank, desto vernehmlicher wurde sein Lob.
    Nachdem John die Schönreden der Versammelten »nach Kräften«
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