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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer
Autoren: Charles R. Maturin
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Versammelten), die da würden mich einer wie der andere vergiften.«
    »Vertrauen Sie doch mir , Herr Oheim«, erbot sich John. »Ich will für Sie zum Apotheker laufen, oder wohin Sie mich immer schicken mögen.«
    Der alte Mann ergriff Johns Hand und zog seinen Neffen ganz nahe an das Bett heran, wobei er die Umstehenden mit einem halb drohenden, halb furchtsamen Blick streifte. Dann, schon in der Bedrängnis des Todeskampfes, flüsterte er John zu: »Bring mir ein Glas Wein, das könnte mich noch ein paar Stunden am Leben erhalten. Aber wem von denen da kann ich denn vertrauen? Sie würden mir eine Flasche stehlen und mich an den Bettelstab bringen. «
    John war zutiefst erschüttert und abgestoßen. »Herr Oheim«, sagte er, »um Gottes Willen, lassen Sie mich das Glas Wein für Sie holen.«
    »Du weißt, wo er ist?« fragte der Alte mit einem Gesichtsausdruck, den John nicht zu deuten vermochte.
    »Nein, Herr Oheim. Ich war ja eher fremd in diesem Haus.«
    »Dann nimm diesen Schlüssel«, sagte der alte Melmoth nach einem heftigen Krampfanfall. »Nimm diesen Schlüssel, der Wein steht dort hinten im Kabinett – es ist Madeira. Denen da habe ich immer weisgemacht, es sei nichts da, aber sie haben mir’s nicht geglaubt, sonst wär’ ich nicht so ausgeplündert worden. Einmal habe ich was von Whisky verlauten lassen, aber da bin ich noch schlechter gefahren, von dem haben sie mir dann doppelt so viel ausgesoffen.«
    John empfing aus seines Oheims Hand den Schlüssel, wobei der Sterbende des Empfängers Rechte so heftig drückte, daß dieser den Druck für einen Beweis der Zuneigung hielt und denselben erwiderte. Doch, durch das weitere Geflüster ward seine Illusion alsbald zerstört: »John, mein Junge, daß du mir ja nichts wegtrinkst, solange du da drinnen bist.«
    John hatte einige Mühe, den Wein ausfindig zu machen, und brauchte in der Tat lange genug dazu, um des Oheims Argwohn zu rechtfertigen – allein, sein Geist war aufgewühlt und seine Hand unruhig. In einem fort mußte er an den seltsam entgeisterten, von Todesfurcht gezeichneten Blick denken, mit welchem der Oheim ihn angestarrt, als er John die Erlaubnis erteilt hatte, dies Kabinett zu betreten. Auch die Entsetzensblicke, welche die Weiber einander zugeworfen, als er auf die Tür zugetreten war, hatte er nicht verstanden. Sobald er sich aber drinnen befand, spielte ihm sein Gedächtnis einen boshaften Streich und rief ihm irgendwelche Spuren einer Geschichte herauf, die zu entsetzlich war, als daß man sie sich so recht hätte vorstellen können, aber mit diesem Gelaß irgendwie zusammenhing. Jedenfalls erinnerte John sich mit einem Mal sehr genau, daß man, seinen Oheim ausgenommen, von niemandem wußte, der dies Kabinett seit Menschengedenken betreten hätte.
    Ehe er es verließ, hob John die armselige Kerze empor und blickte mit einer aus Angst und Neugier gemischten Empfindung um sich. Der Lichtschein fiel auf einen ganzen Haufen wertlosen, nichtsnutzigen Gerümpels, ganz wie man es in dem Kabinett eines solchen Geizkragens hatte erwarten dürfen. Doch urplötzlich und wie durch magische Kraft fühlte John seinen Blick auf ein Porträt gezogen, welches an der einen Wand hing und sogar seinem ungeschulten Auge jener Gattung von Ahnenbildern weit überlegen zu sein schien, wie sie gemeinhin an den Zimmerwänden aller Herrensitze ihrem Zerfall entgegenmodern. Das Gemälde zeigte einen Mann in mittleren Jahren. Weder an seiner Kleidung noch an seiner Pose war irgend etwas Auffälliges – die Augen jedoch, das fühlte John, gehörten zu jenen, unter deren Blick man sofort weiß, daß ihr Besitzer wünscht, niemals mit ihnen gesehen zu haben, und daß er unfähig ist, jemals zu vergessen.
    Ein Zwang, so unwiderstehlich wie qualvoll, trieb John dazu, an das Porträt heranzutreten und es mit seinem Talglicht anzuleuchten. Jetzt erst konnte er die Inschrift am Bildrande erkennen. Sie lautete: J. Melmoth, anno 1646. John war weder von furchtsamem Temperament noch von schwachnerviger Konstitution, und schon gar nicht plagte ihn der Aberglaube. Dennoch starrte er wie gebannt und fast sinnberaubt vor Entsetzen auf dies einzigartige Bildnis; starrte so lange darauf, bis ihn ein Hustenanfall seines Oheims aus der Betäubung riß, und er zurück an dessen Lager eilte. Der Alte trank den Wein in kleinen Schlucken und schien sich darüber um ein Weniges zu erholen. Solche Herzstärkung hatte er sich seit langem nicht mehr erlaubt, und so schien denn auch im
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