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Melmoth der Wanderer

Melmoth der Wanderer

Titel: Melmoth der Wanderer
Autoren: Charles R. Maturin
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mit des Testators Signatur versehen sind. Dennoch halte ich dafür, daß sie von dessen Hand herrühren.« Dies gesagt, wies er die Zeilen dem jungen Melmoth, welcher darin sogleich seines Oheims Hand wiedererkannte (jene steilen, mit dem Platze knausernden Schriftzüge, welche die Absicht des Schreibers verrieten, das Papier bis aufs letzte auszunutzen, weshalb sie auch jede nur mögliche Abkürzung aufwiesen und keinerlei freien Rand gestatteten) und nicht ohne Bewegung die folgenden Anweisungen las:
    Ich trage m. Neff. u. Erb. John Melmoth auf, d. in m. Cabinet häng. Portrait m. d. Inschr. J. Melmoth, 1646, abzunehmen, z. vernicht. od. vernicht. z. lass. Ich trage ihm ferner auf, n. einem Manuskr. z. such., welch. er wohl i. d. 3., link. u. unterst. Lade d. Mahag.-Kommode unt. d. Portr. finden wird – zwisch. einigen wertl. Schriftst. wie handgeschr. Predgtn. u. Entwurf, z. Hebg. d. Lage i. Irland etc. D. Manuskr. ist kenntl. an einem darumgebund. schwarz. Bande, sein Papier ist stockfleck. u. verfärbt. Er lese, so er will – doch halte ich f. bess., dies nicht z. tun. Jedenf. trage ich ihm auf, d. Manuskr., falls ihm d. Wille eines Sterbdn. etw. gilt, z. verbrenn.!
    John verbrachte den Rest des Tages in düsterem, von mancherlei Befürchtung durchsetztem Nachsinnen – mit ruhelosem Auf- und Abgehen in des verstorbenen Oheims Zimmer – mit der immer wieder hinausgeschobenen Absicht, abermals das Kabinett zu betreten – mit ziellosem Hinausblicken auf den Zug der Wolken und mit Lauschen auf die Stimme des Windes, so als ob die vorüberziehende Düsternis der einen und das Raunen des andern das Gewicht, welches dem Einsamen auf der Seele lag, erleichtern könnten statt es zu erschweren. Endlich, es ging schon auf den Abend zu, rief er die alte Wirtschafterin herauf, von der er sich einige Aufklärung über all die sonderbaren Geschehnisse erhoffte, deren Augenzeuge er seit seiner Ankunft in des Oheims Behausung gewesen. Die Alte, der solches Vertrauen nicht wenig schmeichelte, packte denn auch bereitwillig aus, was sie wußte – doch ihr Wissen war nur allzu dürftig.
    Sie schwor Stein und Bein, Seine Gnaden (wie sie den Verstorbenen auch weiterhin nannte) wären allzeit sehr von dem kleinen, gleich an seine Schlafkammer grenzenden Gemache angetan gewesen und hätten sich darin während der letzten zwei Jahre auch häufig mit Lesen beschäftigt. Und da wären diese Leute, wohl wissend, daß Seine Gnaden Geld im Hause verwahrten, und in dem Glauben, es müsse sich in jenem Gelaß befinden, einmal von außen durch das Fenster eingedrungen (mit anderen Worten, man hatte einzubrechen versucht). Aber dieweil jene nichts als einige Schriftstücke vorgefunden, hätten sie sich alsbald aus dem Staube gemacht. Darüber wären Seine Gnaden so tief erschrocken gewesen, daß er das Fenster habe mit Ziegelsteinen zumauern lassen. Aber sie habe sich gesagt, daß da noch mehr dahinterstecken müsse, denn Seine Gnaden, die doch wegen eines jeden fehlenden Hellers das ganze Haus auf den Kopf gestellt hätten, wären beim Vermauern des Fensters ganz still geblieben; ja, und hinterher hätten Seine Gnaden die Gewohnheit angenommen, sich in seiner Kammer einzuschließen, und obschon er vom Lesen nie sonderlich viel gehalten, hätte man ihn jedesmal, wenn man ihm das Essen her aufbrachte, über einem Papier angetroffen, welches er beim Eintreten der jeweiligen Person sogleich zu verbergen gesucht; – ja, und da sei ja auch einmal ein gewaltiges Getöse um ein Bild gewesen, das er vor aller Welt zu verheimlichen getrachtet. Man müsse nämlich wissen, es gäbe da eine sonderbare Geschichte in der Familie , und sie, die Erzählerin habe das Menschenmögliche versucht, um der Sache auf den Grund zu kommen, sei sogar zu Biddy Brannigans Behausung gegangen (nämlich zu der schon beschriebenen heilkundigen Hexe), um endlich Gewißheit zu erlangen. Aber Biddy hätte lediglich den Kopf geschüttelt, ihre Pfeife gestopft, irgendwas Unverständliches vor sich hingemurmelt und zu rauchen begonnen. Das sei bloß zwei Abende vor jenem Tag gewesen, an dem es Seine Gnaden erwischt hätte (will sagen, an welchem er krank geworden sei). Da habe sie, die Erzählerin, beim Hoftor gestanden, und Seine Gnaden hätten ihr plötzlich zugerufen, sie solle es abschließen, (wie er ja stets sehr streng darauf gehalten hätte, daß Tür und Tor beizeiten verschlossen würden). Eben im Begriff, dem Befehl nachzukommen, sei ihr der Schlüssel plötzlich
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