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Melina und die vergessene Magie

Melina und die vergessene Magie

Titel: Melina und die vergessene Magie
Autoren: Susanne Mittag
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Nähe verlöschen. Die Umrisse glichen denen einer muskulösen Raubkatze, und doch war es nicht mehr als ein Schatten. Witternd hob das Wesen die Nase in die Luft und trottete an den zitternden Tieren vorbei in Richtung Tür. Dort glitt es durch den kaum vorhandenen Spalt nach draußen – so wie es nur ein körperloses Wesen kann.
    Vor dem Ausgang schien die Schattenkatze einen Augenblick irritiert, die Tür war verschlossen, und kein Spalt bot ihr die Möglichkeit hindurchzuschlüpfen. Doch sie zögerte nicht lange. Mit geschmeidigen Schritten nahm sie Anlauf, und schon im nächsten Moment fiel die Tür mit einem splitternden Geräusch nach draußen ins Gras. Unbeeindruckt lief das dunkle Tier über das zerstörte magische Holz und mit gesenktem Kopf weiter über die Wiese in den Wald.

Das Dorf der Pflücker

    Melina gewöhnte sich nur langsam an Tanns Gangart. Sie war zwar schlank, aber nicht annähernd so groß und kräftig wie er, und den Sportunterricht empfand sie eher als notwendiges Übel. Es dauerte daher eine ganze Weile, bis sie sich auf Tanns Rhythmus einstellte. Nach einer kurzen Pause konnte sie beim Laufen immerhin sprechen, ohne sofort außer Atem zu kommen. Inzwischen gingen sie nebeneinander.
    »Wie bist du ein Zauberlehrling geworden? Sind deine Eltern Zauberer?«
    Tann schnaubte. »Nein. Dann wäre es sicher leichter für mich gewesen. Meine Eltern sind Holzfäller – und ich war es auch.«
    Melina sah ihn überrascht an. Das erklärte einiges – in der Hütte war er ihr unsicher und tapsig vorgekommen, wie eine Ente an Land. Im Wald hingegen bewegte er sich mit weit ausgreifenden Schritten und ohne die geringste Anstrengung – als wäre er hier geboren.
    »Und warum bist du kein Holzfäller mehr?«
    Tann knurrte. »Redet ihr Menschen alle so viel?«
    Melina biss sich auf die Lippe. Hatte sie schon wieder etwas Falsches gesagt? Aber Tann räusperte sich nach einer Weile und erzählte.
    »Ich bin ein Bogan. Das bedeutet Holzfäller. Wir waren nie etwas anderes. Das Holz, das wir schlagen, ist etwas Besonderes – magisches Holz. Es kann nur mit einem kurzen, präzisen Schlag einer besonderen Axt gefällt werden, und ich meine wirklich mit
einem
. Schafft man es nicht, ist das Holz unbrauchbar, und der ganze Baum stirbt ab.«
    »Klingt sehr anstrengend«, bemerkte Melina. »Und ein bisschen langweilig auf die Dauer.«
    Tann gab einen Laut von sich, der wie ein Lachen klang.
    »Das fand ich auch. Leider konnte mich niemand verstehen, weder meine Freunde noch meine Eltern. Die Bogan sind sehr stolz auf das, was sie tun.«
    »Und trotzdem kannst du dich von deiner Vergangenheit nicht ganz trennen«, sagte Melina nachdenklich. »Du trägst noch immer deine Axt am Gürtel. Oder benutzt du sie … als Waffe?«
    Tann warf ihr einen strafenden Blick zu. »Waffe? Niemals! Das ist eine Windaxt!«
    Als Melina ihn fragend ansah, fuhr er fort: »Sie stammt aus der Höhle des Windes, einem mystischen Ort. Dort reifen die Äxte über hundert Jahre, sie werden nur vom Wind geschliffen, bis sie so scharf sind, dass sie magisches Holz zerteilen können.« Mit Stolz in den Augen fügte er hinzu: »Ein Bogan ist nicht
irgendein
Holzfäller, unser Beruf ist eine Kunst.«
    »Das mag ja sein«, meinte Melina, »aber ist es denn so schlimm, wenn einer von euch etwas anderes werden will?«
    Tann sog die Luft durch die Zähne ein, sodass ein kleiner Pfeifton erklang. »Heiliges Eis! Für Bogan-Eltern ist das das Schlimmste, was passieren kann. Schon immer hatte ich mir gewünscht, durch die große weite Welt reisen zu können. Etwas Besonderes zu sein – so wie die Zauberer, denen ich das Holz lieferte. Eines Tages lernte ich durch meine Arbeit Meister Salius kennen, und er hat mir angeboten, sein Lehrling zu werden. Du hättest die Blicke der anderen jungen Bogan sehen sollen.«
    »Bist du jetzt glücklich?«, fragte Melina vorsichtig.
    Tann zögerte. »Ist das wichtig? Ich habe einen Weg eingeschlagen, den ich nun gehen muss.«
    Melina vermutete, dass irgendetwas nicht so gelaufen war, wie er es sich erträumt hatte – und dass er deshalb nicht gern darüber sprach. »Wo steckt dein Meister eigentlich?«, fragte sie. »Lässt er dich oft allein?«
    «Noch nie so lange«, seufzte Tann. »Vor fünf Tagen kamen Boten des Königs zu uns. Sie haben Salius die Nachricht überbracht, dass alle Zauberer sofort zum Eispalast kommen sollen. Ich hoffe, dass es nichts Ernstes ist.«
    Eine Weile gingen sie schweigend weiter, und
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