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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia
Autoren: Martin Clauß
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weggeplatzt, und sie wollte Gott nicht mit bloßgelegten Brüsten gegenübertreten. Nicht einmal, falls er eine Frau war. Am wenigsten dann.
    Dein Brustkorb ist ein Stück blutiger Sumpf , Melanie, wies sie sich zurecht. Vergiss deine Brust, sondern wirst du nur in Panik geraten. Du gehst nicht als Zombie in den Himmel, sondern als Seele. Du brauchst Ruhe, um dich auf deine neue Existenz einzustellen.
    Sie sah sich um, und da war nichts. Keine Himmelspforten, nicht einmal ein Licht. Keine Farben, keine Formen, auch keine Dunkelheit. Sie sah nichts.
    Natürlich. Sie hatte keine Augen mehr.
    Und plötzlich war da doch etwas.
    Die Gestalt, die ihren Unfall verursacht hatte.
    Ein flirrender, zweidimensionaler Schatten mit menschlichen Umrissen. Er tanzte auf sie zu, unregelmäßig, wie ein elektrisches Phänomen zunächst. Dann wurden seine Bewegungen menschlicher, langsamer, vorhersehbarer. Der Schatten füllte sich mit Farben und Strukturen. Ein Mann entstand, blass und durchscheinend noch, bekleidet … mit einer Blue Jeans und einem Batik-T-Shirt. Er hatte lange Haare, sehr dunkel, ein schmales Gesicht, sehr hell. Er bewegte den Mund, als würde er sprechen, aber sie konnte ihn noch nicht hören.
    Die Umgebung kam jetzt zurück. Der nächtliche Wald, die Straße. Sie stand genau auf dem Mittelstreifen. Zwei Meter hinter ihr befand sich das Heck des Hyundai. Die Heckleuchten brannten noch. Rot glommen sie in der Dunkelheit. Die beiden Scheinwerfer dagegen waren ausgefallen. Auch im Inneren des Wagens herrschte Finsternis. Sie fühlte sich versucht, einen Blick in das Auto zu werfen, doch der Mann, der vor ihr stand, schüttelte den Kopf. Also wandte sie sich davon ab.
    Es regnete, die Tropfen fielen durch sie hindurch, und wenn sie das taten, zogen sie leuchtende, funkelnde Bahnen durch ihren halbtransparenten Körper. Sie war angezogen, ihre Bluse bis auf einen Knopf geöffnet. Als sie einen Blick unter diese Bluse warf, durchfuhr es sie wie ein Schlag. Ihr Brustkorb war eine hässliche Pampe aus Fleisch und Knochen, und ihr Herz tränkte diesen Brei in kurzen Abständen aufs Neue mit Blut. Doch noch während sie hinsah, verblasste dieses Bild, und ihre normalen, unverletzten Brüste schälten sich hervor.
    Sie hatte das Gefühl, das man als Lebender hatte, wenn man vor Angst beinahe den Verstand verliert. Das Gefühl, keine Luft zu bekommen – die zugeschnürte Kehle. Die Hitze, die den ganzen Leib durchflutet. Den Druck auf den Ohren. Alles sehr körperliche Empfindungen.
    Der Mann redete weiter, das heißt, er bewegte unablässig die Lippen, und sie konnte ihn noch immer nicht verstehen.
    „Ich bin Melanie Kufleitner“, versuchte sie es selbst. Zumindest ihre eigene Stimme konnte sie wahrnehmen.
    Der Mann zuckte die Schultern und wies hinter sich. „Kommen Sie mit“, schien sein Mund die Worte zu formen. „Kommen Sie – mit mir – durch den Wald! Schnell.“ Allmählich glaubte sie, ihn hören zu können. Er sagte: „Ich glaube, ich … muss Ihnen etwas zeigen. Weiß nicht – ich … habe nicht viel Zeit.“ Er hatte eine hohe, sympathische Stimme. Aber er klang nicht wie ein Engel, sondern wie ein Mensch. Wie ein verwirrter Mensch. Aus seiner Stimme sprach die Aufregung, und er wirkte gehetzt. „Ich verstehe das auch nicht“, fügte er hinzu. „Aber ich habe das … das Gefühl, wir entfernen uns wieder voneinander.“
    Wie sah er sie? Mit der offenen Bluse? Mit dem zermalmten Brustkorb? Oder ganz anders?
    „Durch den Wald?“, hakte sie nach. „Da ist kein Weg.“ Und dann, als ihre Worte ihr belanglos und töricht vorkamen, fügte sie leise hinzu: „Ich bin tot. Das bin ich doch, nicht wahr? Und Sie sind es auch.“
    Der Mann erstarrte. Seine Augen wurden größer und größer, und sein Gesicht zusehends blasser. Er schwankte ein wenig zur Seite, fing sich wieder. Die beiden standen sich gegenüber, im Regen, ohne nass zu werden, Melanie reglos, er torkelnd wie ein Betrunkener.
    Er taumelte einen Schritt zurück. Sein Kiefer zitterte, seine Lippen zuckten. Lichtreflexe, die keinen erkennbaren Ursprung hatten, schienen über seine Wangen zu laufen, gefolgt von harten Schatten. Sein Gesicht war wie ein Holzschnitt, ein lebendiger Holzschnitt.
    „Um Himmels Willen“, gurgelte er. „Ich …“ Er hob die Hände und ließ sie wieder sinken.
    Sie ging auf ihn zu, wollte etwas sagen, brachte jedoch nichts hervor.
    „Ich habe Sie“, würgte er heraus, „ich habe … habe Sie … getötet. Ich bin
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