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Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia

Titel: Melanie - Inside Joke - Claußtrophobia
Autoren: Martin Clauß
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Tropfen Alkohol angerührt! Sie war so abstinent gewesen wie eine leberkranke Nonne – nicht aus Prinzip oder weil sie einem guten Tropfen abgeneigt gewesen wäre, nein, eher aus Angst, dass sie ihm sonst schon während der Feier um den Hals gefallen wäre (die blauen Augen, diese unglaublichen blauen Augen!).
    „Ich möchte mit dir schlafen!“, hatte sie ihm zuletzt noch entgegengebrüllt, als er sie durch den Flur in Richtung Haustür schubste. Sie hatte nicht „Ficken“ gesagt wie Nicole Kidman in Kubricks „Eyes wide shut“. „Schlafen“ hatte sie gesagt, ganz politically correct , und trotzdem …
    Auf der Treppe war fast gleichzeitig Udos Vater erschienen, ein verkatertes Gesicht, das aus einem ausgebeulten, verschossenen Jogginganzug herausragte, aber dieselben Augen. Er ließ nicht erkennen, ob er sie verstanden hatte, er sagte lediglich zu ihr, er sei nicht böse, dass sie so spät noch solchen Lärm mache und dass sein Sohn Damenbesuch habe, er sei schließlich auch einmal jung gewesen, und sie könne oben unter dem Dach in einer kleinen Kammer schlafen, falls sie zu besoffen sei, um noch nach Hause zu fahren. Dort gebe es eine alte Couch. Sie müsse um Himmels Willen nur versprechen, seine Sammlung von Pistolen aus dem dreißigjährigen Krieg nicht anzurühren.
    Die Pistolen waren es, die ihr den Rest gaben. Sie schrie, sie würde in diesem Haus keine Pistole anfassen, nicht seine und nicht die seines Sohnes, und im Übrigen sollten sie sich bloß nichts auf ihre dummen blauen Augen einbilden!
    Dann stürzte sie aus dem Haus, die Bluse noch immer verführ-geknöpft. An der Straße stand ihr treuer Hyundai im Parkverbot und hatte sich einen Strafzettel hinter den Scheibenwischer klemmen lassen wie ein Anfänger. Und das in einem winzigen Kaff wie diesem. Okay, sollte er doch sehen, was er davon hatte! Sie würde ihm die Sporen kräftig ins Fleisch setzen. Wenn sie in Freudenstadt ankamen, würde er jede Schweißnaht spüren …
    Udo (zurzeit also Nummer 1 auf der Liste der zu vergessenden Namen) wohnte in Hornberg, einem Erholungsort irgendwo zwischen Sankt Georgen und Hausach. Die nächtliche Heimfahrt führte Melanie an dichten, finsteren Tannenarealen vorbei, die auch tagsüber erahnen ließen, warum der Schwarzwald Schwarzwald hieß. Steile Granitfelsen wuchsen direkt an der Straße empor.
    Zehn Kilometer waren es bis Hausach, dann ging es weiter nach Wolfach, von einem Ach zum nächsten – diese hässlichen stöhnenden und seufzenden Namen – und von dort aus nahm sie nicht die gemütlichere Bundesstraße, sondern die schmale Landstraße quer durch den Wald. Das Radio war ausgeschaltet, die Scheiben hochgekurbelt. Der Regen, der anfangs nur spärlich gefallen war, hatte seit Wolfach stärker eingesetzt. Fleißig putzten die Scheibenwischer die Tropfen vom Frontglas, zerstörten diese winzigen Kuppeln aus Wasser. Sie taten es in einem flappenden Rhythmus, und sie taten es mit beruhigender Gleichmäßigkeit, im harten Kontrast zu dem unregelmäßigen, groben Reißen am Lenkrad, für das Pilotin Melanie Kufleitner verantwortlich zeichnete.
    An einigen Stellen war der Untergrund holprig – ein neuer Asphaltbezug hätte der Straße gut zu Gesicht gestanden. Manche der Kurven legten sich nach außen, und der Kleinwagen drohte abgetrieben zu werden. Die Fahrerin nutzte beide Fahrbahnen voll aus. Sie geriet mehr als einmal auf den Randstreifen und entging den Markierungspfosten nur knapp.
    Die reflektierenden Regentropfen zauberten flimmernde Vorhänge vor ihr in die Luft, und mitunter sah sie nur wenige Meter weit. Eine kleine, dunkle Ausfahrt schoss rechts an ihr vorbei – der Weg nach Schloss Falkengrund. Sie kannte das Haus nicht, hatte es nie besichtigt, aber sie nahm sich vor, es eines Tages zu tun.
    Wie hätte sie ahnen sollen, dass sie es schon wenige Minuten später sehen würde?
    Sehen … mit weit geschlossenen Augen …

2
    Mai 2002, Japan
    „Ah, Sensei, bitte kommen Sie herein!“
    Die knochige Frau mit dem krummen Rücken kniete auf der Schwelle und rückte die Pantoffeln für den Gast zurecht. Sie tat es mechanisch, ohne Herzlichkeit, und ihre Stimme wirkte kraftlos, ausgepumpt. Die Augen in ihrem schmalen, viereckigen Gesicht waren halb geschlossen und blickten zu Boden, an irgendeinen Punkt auf der abgewetzten Holzschwelle, wo es nichts zu sehen gab.
    Dr. Fumio Andô wusste, dass er ihr nicht willkommen war. Sie ließ es ihn spüren, ohne die Regeln der Höflichkeit offen zu
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